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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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verachtenswert fände, vor einer Patientin zu heulen. Sie ist überhaupt nicht mehr sie selbst.
    Ich gebe Jenny Zeit, im Waschraum zu verschwinden und mache mir Gedanken über die Mittagspause – garantiert will Jenny nicht mit uns in die Cafeteria gehen. Also schlage ich Isa vor, dass wir mit Jenny irgendwo allein essen. Warum nicht im erprobten Rückzugswaschraum?
    Doch Isa lässt mich abblitzen. »Ich kann nicht«, sagt sie. »Ich habe einen Termin.«
    Erst will ich lachen – was kann sie schon während der Mittagspause für eine Verabredung haben?! Dann sehe ich, wie blass sie ist und sage nichts. Was sie tatsächlich vorhat, begreife ich erst, als ich sie den Flur hinuntergehen sehe wie einen kleinen Soldaten und bemerke, dass sie die Treppe nach oben nimmt. Oben haben wir nichts zu suchen. Da ist nur der Verwaltungstrakt.
    Ich lasse den Kanülenwagen stehen und steige nachdenklich in die nächste Etage. Es kann ja sein, dass Isa nur eine Bescheinigung in der Personalabteilung abgeben muss. Isa hat nichts bei sich und geht an der Personalabteilung vorbei. Sie klopft am Chefbüro, dann öffnet sie langsam die Tür. Als würde ihr von drinnen ein heftiger Sturm entgegenwehen, zieht sie den Kopf zwischen die Schultern, bevor sie das Chefbüro betritt. Ich habe genug Ärger bekommen, als ich das letzte Mal gelauscht habe. Aber das hier MUSS ich wissen. Ich gehe wie zufällig am Chefbüro vorbei. Zweimal. Beim zweiten Mal bleibe ich stehen, ganz nah an der Chefbürotür. Es könnte ja sein, dass ich gleich ein Gespräch habe und hier warte? Aber es kommt niemand vorbei, der das denken könnte. Ich rutsche noch näher an die Tür.
    Isa eignet sich nicht zum Belauschen. Ich versuche zum zweiten Mal, ein Gespräch mitzuhören – wieder vergeblich. Jeder Spionagedienst sollte um Isa werben; schon eine normale Türstärke weiter ist sie unhörbar. Der Chefarzt allerdings spricht laut und deutlich. »Sie erstaunen mich!«, sagt er. »Ich habe Sie nie auch nur ein einziges Wort sagen hören!« Jawohl, Chef, ich hier draußen höre auch kein Wort von ihr! Der Chefarzt klingt ungläubig. »Und jetzt das!«
    Das Gespräch geht so weiter, ich höre nur eine Hälfte der Unterhaltung. Aber eines wird ganz klar: Der Chefarzt redet über Jenny. Er sagt, sie sei unzuverlässig, faul und desinteressiert. Dann höre ich eine Weile nichts – und dann sagt der Chef »Sie können mir viel erzählen«.
    Soll das heißen, dass Isa widersprochen hat? Ich kann ihren Mut nicht fassen. Aber offenbar redet sie weiter gegen die Vorwürfe des Chefarztes an, denn als Nächstes sagt er: »Sie wollen mir doch nicht weismachen, sie würde sich mehr als nur minimal nötig engagieren« und »Aber Sie werden doch zugeben, dass Ihre Freundin nicht gerade den besten Eindruck macht«. Wieder höre ich eine Weile nichts. Wie kann Isa es nur wagen?! Irgendwann sagt Dr. Kreuz: »Das hört sich alles sehr nett an und ich gebe zu, dass mich Ihr Auftritt beeindruckt. Schließlich schien Sprechen bisher nicht so Ihre Stärke zu sein.« Das stimmt, Chef. Ich hier draußen, die ich Isa weit besser kenne als Sie, bin ebenfalls sprachlos über ihren Mut! Und wieder verrät die Pause, dass Isa selbst darauf etwas zu antworten wagt. Dann wieder der Chef: »Aber Sie verstehen, dass ich so etwas nicht durchgehen lassen kann.« Pause.
    Ich fasse es nicht. Isa gibt einfach nicht auf. Ich verstehe jetzt, warum sie bisher nur still und schüchtern sein konnte: Sie muss den Mut aller vergangenen Jahre gesammelt haben für diesen Moment. Irgendwann höre ich wieder Dr. Kreuz; er sagt: »Was würden Sie denn an meiner Stelle tun?!« Es klingt nicht wie eine Frage. Nur wie eine Herausforderung. Der Subtext lautet eindeutig: »Gib zu, dass du auch nichts anderes tun könntest, alsJenny zu feuern.« Aber die folgende lange Pause lässt mich vermuten, dass Isa sehr wohl eine andere Antwort weiß. Es dringt lange kein Laut nach außen. Ich glaube, Isa hält eine Rede. Eine lange, flammende Rede im einstelligen Dezibelbereich. Und dann kommt es. »Na gut«, sagt der Chef. »Vielleicht versuchen wir das.«
    Ich gehe wieder auf die Innere hinunter, als hätte ich nur eine Bescheinigung in die Personalabteilung gebracht. Isa kommt drei Minuten später.
    Â»Was ist los?«,

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