Miss Emergency
verfallen. Deshalb war ich doch so sauer.«
Und dann stehe ich kurz auf, damit meine frisch wieder befreundeten Freundinnen einander umarmen können.
Ich erwache im Morgengrauen. Jenny und Isa sitzen aneinandergelehnt, unter die bunte Decke gekuschelt. Beide schlafen fest. Die Geräte im Krankenzimmer summen leise. Frau Klein liegt reglos. AuÃer der Herzaktion auf dem Monitor kein Lebenszeichen.
M orgens sehen wir aus wie die drei Grazien von der Bahnhofsmission. Ich will nicht sagen, dass ich mich schon daran gewöhnt hätte, mit schmerzenden Gliedern und zerknitterten Klamotten den Dienst anzutreten, aber angesichts der Ergebnisse der vergangenen Nacht kann ich diese Opfer noch einmal hinnehmen. Isa hingegen jammert ein bisschen über die fehlende Möglichkeit, sich zu duschen und vor dem Arbeitstag zu sammeln. Immerhin hat Schwester Hanna einen Vorrat an Einmal-Zahnbürsten, aus dem wir uns bedienen dürfen. Gegen die Augenringe und das Bedürfnis nach frischer Wäsche kann sie jedoch nichts ausrichten. Ãberraschend cool heute Morgen ist Jenny, obwohl sie in dem übernächtigten Party-Outfit am derangiertesten aussieht und sonst doch so penibel darauf achtet, immer passend und einen Hauch besser als erwartet auszusehen. Heute zuckt sie nur mit den Schultern.
»Für mich ist es doch egal, wie ich aussehe«, sagt sie. »Wenn es mein letzter Tag ist, hätte ich mich auch ohne Krankenhausübernachtung so ausstaffiert.«
Ich hatte es vollkommen vergessen. Heute Nachmittag wird über Jennys Schicksal entschieden.
Vor Dienstbeginn lassen wir uns von Ruben Frühstück servieren, der sich darüber beschwert, dass die Cafeteria sich angeblich zu einer Privatkantine entwickelt, in der er plötzlich rund um die Uhr Sonderwünsche erfüllen soll. Wir beruhigen ihn â eigentlich suchen wir nur ein gemütliches Plätzchen, um diewiedergefundene Einigkeit zu genieÃen. Ob er uns dazu frischen Kaffee kocht, die verschmähten Brötchen von gestern an uns verfüttert oder nur im Hintergrund ein bisschen begleitend murrt, ist uns ganz egal. Und ich habe mich nicht getäuscht: Nachdem wir kundgetan haben, dass wir nichts von ihm erwarten, zaubert er uns ein Frühstück mit Kakao und Rühreiern, das alle erreichbaren Lebensgeister wiederherstellt.
»Heute, oder?«, fragt Ruben, als Jenny auf dem Klo verschwunden ist. Natürlich, auch er weià von der schicksalsentscheidenden Besprechung.
»Was denkst du?«, erwidere ich. »Werden sie sie echt feuern?« Ruben zieht zweifelnd eine Augenbraue hoch. »Der Chef mag die Braven, die Freundlichen«, sagt er zögernd. »Für so eine Wilde brät der keine Extrawurst.«
Isa und ich wissen nichts Zuversichtliches entgegenzuhalten.
Endlich, kurz vor Dienstbeginn, rufe ich Manuel an. Er ist beleidigt. Zu Recht. Ich habe ihn geweckt und er hat meinen Anruf vorvorgestern erwartet. Und vorgestern. Und gestern nicht mehr so sehr. Ich weià viele Entschuldigungen, doch ich bringe nicht alle vor. Manuel fragt auch nicht danach. Ich sage deshalb nur lasch, dass es viel zu tun gab. Warum erzählst du nicht von Frau Klein, Lena? Von deinen Freundinnen und ihrem groÃen Krach ⦠Irgendwie bin ich zu müde, um all das im Ganzen und von vorn zu berichten. Er weià ja gar nichts davon. Und wenn er nicht fragt ⦠Ich weiÃ, es könnte auch anders sein â man könnte sich danach sehnen, dem anderen sein Leid zu klagen und Trost darin finden, sich bei ihm alles von der Seele zu reden. Aber das kann ja noch kommen, oder? ⦠Ich sage schlieÃlich nur, dass wir uns heute Abend sehen können. Wenn er noch will. Er will und freut sich so, dass ich plötzlich gar nicht mehr verstehe, warum ich ihn nicht schon viel eher anrufen wollte.
Der Arbeitstag ist seltsam. Wir gehen unseren Beschäftigungen nach und Jenny steht irgendwie daneben. Kein Wunder, dass sie sich unwohl fühlt. Sie wird zu nichts gebeten und auf ihrerWarteposition behandelt, als sei sie schon raus. Sie macht sich unbeholfen nützlich, um die Zeit totzuschlagen. Alles wartet auf den Nachmittag. Kurz vor der Mittagspause sehe ich Jenny wieder aus Paula Schwabs Zimmer kommen. Sie sieht verweint aus. Es ist nicht nur, dass ich Jenny noch nie weinen sah, dass sie für mich der Inbegriff der Kämpferin war. Ich bin überzeugt, dass Jenny es normalerweise absolut
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