Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
hat höchstens ein paar Minuten auf der Treppe gelegen. Was für ein Glück, dass Sie sie so schnell gefunden haben.«
Auf dem Weg zur Säuglingsstation verdränge ich den Gedanken, was passiert wäre, wenn ich nicht ins Labor gewollt hätte. Oder wenn ich ein paar Minuten früher gegangen wäre. Hätte die Frau das Kind dann vielleicht nicht vor das Krankenhaus gelegt? Aber wohin sonst?
Die Kleine sieht zufrieden aus, wurde gefüttert und versorgt. Vermisst sie ihre Mutter? Oder weiß sie noch nicht, dass sie jetzt allein ist? Ich könnte heulen bei dem Gedanken.
Jemand legt mir die Hand auf die Schulter. Dr. Al-Sayed.
»Ich habe das Jugendamt schon informiert«, sagt sie. »Die kümmern sich um alles.« Sie klingt abgeklärt. Und doch traurig.
Auf dem Heimweg kann ich über nichts anderes reden als über das namenlose Baby. Isa ist ebenso entsetzt wie ich. »Wie kann man so sein?!«, fragt sie immer wieder. »Als Mutter?!«
»Vielleicht kann sie es nicht ernähren«, sage ich. »Oder sie istnoch ganz jung.« Aber wirklich nachvollziehen kann ich beides nicht.
Jenny geht mit uns heim, doch sie spricht nicht viel. Dafür meldet ihr Telefon eine SMS-Ankunft nach der anderen. Zu Hause erwarten wir eigentlich nur noch, dass sie sich umzieht und wieder verschwindet, wie gestern und vorgestern. Doch sie geht in ihr Zimmer und als ich nach einigen Minuten höre, dass sie ihre Musik aufdreht, klopfe ich bei ihr.
Jenny sitzt auf dem Bett, inmitten verteilter Klamotten. Weiß sie nicht, was sie anziehen will? Oder wohin sie gehen soll?
»Willst du noch weg?«, frage ich und sie zuckt die Achseln.
Ich schließe die Tür und setze mich zu ihr.
»Wo warst du gestern?« Ich muss einfach fragen.
Jenny zuckt wieder mit den Schultern. »Bei Olaf.« Wer zur Hölle ist Olaf?! Doch als ich das frage, sieht Jenny mich an – und antwortet wieder nur mit dem obligatorischen Achselzucken. »Weiß ich doch nicht.«
Das kann ich nicht glauben. »Und vorgestern?«
Ich habe das Schulterzucken vorausgesehen. Na klar. Etwas anderes ist heute von Jenny wohl nicht zu erwarten.
Sie sieht trotzig aus, entschlossen. »Wen kümmern die Typen?«, sagt sie. Dann greift sie nach einem Kleid. Offenbar hat sie jetzt doch beschlossen, sich noch eine Nacht um die Ohren zu schlagen. Das kann ich nicht zulassen. Ich habe sie zwei Abende ziehen lassen.
Ich suche ihren Blick. Sie weicht mir aus.
»So bist du nicht, Jenny.«
»Doch, so bin ich«, sagt sie hart. »Genau dazu habe ich mich werden lassen.«
Sie sieht so einsam aus, so klein. »Ich hab mir doch selbst alles kaputtgemacht. Und das ist jetzt die Strafe.«
Ich möchte sie in den Arm nehmen, doch Jenny macht sich los, steht auf und tritt ans Fenster. »Als ob es nicht reicht, dass DIE mir alles kaputtmachen«, sagt sie.
»Du musst mit Felix reden«, sage ich hilflos.
Jenny lacht trocken. »Er weiß doch noch nicht mal, warum ich ihn rausgeschmissen habe.«
»Geh nicht mehr weg heute«, bitte ich sie.
Jenny nickt. »Ich hab sowieso keine Lust mehr.« Und dann schmeißt sie mich raus und dreht die Musik noch lauter.
»Wir müssen was tun«, sagt Isa ganz ruhig. »Jenny ist unsere beste Freundin. Und wenn ich mir überlege, was SIE alles für mich getan hat, könnte ich mich dafür hassen, dass ich schon so lange nur abwarte.« Hassen finde ich übertrieben. Aber Isa hat recht. Und auch schon einen Plan.
Wir sind zu zweit, als wir Felix besuchen, doch es ist Isa, die redet. »Lass mich das machen«, sagt sie an der Tür zu mir.
Ich habe noch nicht die richtigen Worte parat und bin deswegen froh, dass sie den Anfang machen will. Dieses schwierige Gespräch möchte ich Isa nicht allein überlassen. Aber ich weiß noch nicht, wie wir Felix beibringen sollen, warum Jenny ihn loswerden wollte. Und was sie in den letzten Tagen getan hat. Und warum er trotzdem in ihr Leben zurückkommen muss.
Felix öffnet uns die Tür, er sieht völlig fertig aus. Er hat nicht mit uns gerechnet, doch er fragt nichts und geht uns voraus in sein kleines, vollgestelltes Wohnzimmer. Dort lässt er sich in einen Sessel fallen, ohne uns einen Platz anzubieten. Er sieht uns nicht mal an, scheint einfach nur abzuwarten, was wir zu sagen haben, kraftlos.
Isa beschönigt nichts. Sie erzählt von Jennys Eltern ebenso wie von ihrem Aussetzer und den durchgemachten Nächten. Ich bin mir nicht sicher, ob das richtig ist. Aber Isa ist entschlossen, absolut reinen Tisch zu machen.
»Du musst ihr verzeihen«, sagt
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