Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
hat, ich denke dasselbe seit mindestens einer halben Stunde. Schweigend gehen wir ins Bett. Ich bin nicht überrascht. Nur traurig.
I ch habe nicht oft das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Aber heute gelingt es mir wunderbarerweise. Dabei ist es eigentlich ein Zufall, dass ich mitten am Vormittag nach unten gehe. Eine verspätete Laborprobe muss abgegeben werden und ich will die Chance nutzen, um nach Felix zu schauen. Doch ich komme nicht bis zum Labor, denn von der Treppe höre ich ein Weinen.
Es liegt auf der hinteren Treppe und ist in eine rote Decke gewickelt. Es schreit und ist höchstens drei Tage alt.
Ich weiß nicht, wie ich mit dem brüllenden Kind nach oben gekommen bin. Aber eine Minute später stürme ich mit ihm in Dr. Al-Sayeds Büro. Atemlos versuche ich zu berichten.
»Es lag da«, stammle ich, »ganz allein …«
Dr. Al-Sayed nimmt mir das Bündel ab. Gemeinsam eilen wir auf die Kinderstation. Die Oberärztin untersucht das Baby. Ein Mädchen. Sehr klein, es friert. Aber dass es so schreit, ist ein gutes Zeichen.
Ich bewundere die schmale Oberärztin mehr denn je, ihr entschlossenes Handeln – und gleichzeitig die unglaublich zarten Berührungen, mit denen sie das Kind untersucht.
»Es ist gesund«, sagt sie schließlich. »Aber unterkühlt. Wir bringen es zu den Frühchen.«
Wieder laufe ich nur gebannt hinter ihr her, stehe daneben, während sie es einer Schwester anvertraut und die beiden es in einen der wärmenden Kästen legen.
»Was, meinen Sie, ist passiert?«, frage ich endlich.
Sie sieht mich an. »Jemand hat es nicht haben wollen«, antwortet sie, als sei das das Normalste der Welt. »Wir können froh sein, dass sie es hierhergebracht hat.«
Ich starre sie an. Seit ich hier bin, habe ich den ganzen Tag mit Müttern zu tun. Mütter, die Angst haben, die Schmerzen haben, die fluchen und schreien. Aber noch keine war dabei, die ihr Neugeborenes nicht um alles in der Welt hätte behalten wollen.
Dr. Al-Sayed seufzt. »Seit Jahren versuche ich, hier eine Babyklappe zu installieren. Dass die Kleine so unterkühlt ist, ist SEINE Schuld.« Ich erfahre nicht, wen sie gemeint hat. Sofort hat sich die Oberärztin wieder im Griff. Sie lächelt.
»Gehen Sie in die Pause! Im Moment können wir nichts für das Kind tun. Ich kümmere mich um die Formalitäten.«
Sie geht und ich stehe wie versteinert vor dem Brutkasten, in dem das winzige Mädchen liegt. Bis die Schwester mich fortschickt, weil sie die Kleine füttern möchte.
Als ich beim Mittagessen aufgelöst berichte, sind meine Freundinnen entsetzt. Ruben aber weiß nicht nur, dass dies nicht das erste Findelkind ist, sondern auch, wem Dr. Al-Sayed die Schuld für die leichte Unterkühlung des Säuglings gibt.
»Dr. Dr. Kreuz möchte keine Babyklappe«, erklärt er uns. »Seit Jahren streitet Dr. Al-Sayed mit ihm darum. Aber der Chefarzt ist der Meinung, eine Babyklappe wäre ein Durchbruch in die falsche Richtung.«
Einen Moment diskutieren wir alle drei impulsiv die Vor- und Nachteile einer Babyklappe – und die Vorteile scheinen klar zu überwiegen.
»Darum geht es leider nicht, ihr Mäuse«, lächelt Ruben uns halbherzig an. »In dieser Auseinandersetzung spielen noch ein paar unterschwellig-persönliche Geschichten mit. Zum Beispiel, wer der Bestimmer über St. Anna ist …«
Hellhörig geworden frage ich nach. Führen die besonnene Dr. Al-Sayed und der Chef-Monarch Krieg um die Vorherrschaft in unserer Klinik? Doch Ruben lacht nur.
»Das ist bloß, weil sie noch nicht geschnallt haben, wer der EIGENTLICHE heimliche Herrscher dieses Krankenhauses ist.«
Er tippt sich überlegen an die Brust – na klar, Ruben selbst beansprucht diesen Titel für sich. Trotzdem, verstehen kann ich den Chef nicht. Wie kann er eine Ärztin wie Dr. Al-Sayed an seiner Klinik haben und nicht jeden ihrer Schritte rückhaltlos unterstützen?!
Meine Nachmittagsrunde absolviere ich wie in Trance. Ich hatte mich darauf gefreut, Frau Fahn ihre baldige Entlassung in Aussicht stellen zu können. Jetzt bin ich nicht bei der Sache. Meine Gedanken sind bei dem Baby.
Zum Feierabend eile ich wieder auf die Frühchenstation. Doch die Kleine ist nicht mehr da. Frau Frisch begrüßt mich, sie sieht müde aus. Es tut mir leid, dass ich mich im Moment gar nicht richtig auf sie konzentrieren kann.
Eine Schwester erklärt mir, dass mein Findelkind auf die Säuglingsstation verlegt wurde.
»Es geht ihr gut«, sagt sie. »Sie
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