Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
braucht.
Du bist genau richtig, so wie du bist. So richtig, dass ich es gerade gar nicht fassen kann.
I m Gegensatz zu meinem Privatleben ist es im Krankenhaus immer toll, jemanden gehen lassen zu dürfen. Nach einem langen Arbeitstag besteht mein Highlight des Tages darin, dass ich Frau Fahn entlassen darf. Meine Abschieds-»Geschenke« für sie sind kitschig und höchst albern. Aber ich konnte nicht anders. Bevor ich die Schwester rufe, die ihr beim Packen helfen soll, lege ich drei Kataloge auf Frau Fahns Bett, die ich am Morgen in dem riesigen Shoppingcenter am Alex eingesammelt habe. Das erste Heft ist ein Reisekatalog: »England entdecken«. Das zweite ist von der Volkshochschule und listet alle Tanzkurse auf. Und als drittes habe ich den Prospekt eines Möbelhauses mitgenommen, in dem Ordnungssysteme für jeden Bedarf gezeigt werden. Ein linkisches Mitbringsel vielleicht. Aber ich meine es nur halb scherzhaft. Und ich glaube, Frau Fahn versteht mich richtig. Jedenfalls bedankt sie sich mit einer so herzlichen Umarmung, dass ich trotz der Albernheit gerührt bin.
Auf dem Weg zum Arztzimmer werde ich Zeuge, wie Dr. Dr. Kreuz wütend aus Dr. Al-Sayeds Büro rauscht. Er lässt die Tür offen stehen. Die Oberärztin sitzt an ihrem Schreibtisch und sieht müde aus.
Mutig trete ich in die Tür. Sie sieht nicht auf. Idiotisch, Lena, dass du denkst, du könntest ihr jetzt irgendwie von Nutzen sein. Als ob sie von irgendjemandem Hilfe braucht. Von einer PJlerin!
Aber sie hat mich bemerkt. »Kommen Sie herein«, sagt Dr. Al-Sayed, ohne aufzusehen.
Ich betrete ihr Büro, setze mich still in einen der Sessel. Über mir hängen die geheimnisvollen Schriftzeichen. Was mögen sie für Dr. Al-Sayed bedeuten?
»Verstehen Sie ihn nicht falsch«, sagt sie. »Im Grunde sind seine Argumente gegen eine Babyklappe berechtigt.«
Bitte? Nimmt sie ihn jetzt in Schutz?
»Seit Jahren versuche ich durchzusetzen, dass wir anonyme Geburten anbieten«, erklärt sie. »Dass wir nicht fragen, woher Mutter und Kind kommen. Aber den Müttern beistehen und die Kleinen versorgen.«
»Was hat er denn dagegen?«, frage ich direkt.
Dr. Al-Sayed schüttelt den Kopf. »Nichts, was ich moralisch vertreten kann.«
Ich will ihr nicht zu nahe treten. Aber fragen muss ich trotzdem. »Warum setzen Sie sich dann nicht durch?«
»Weil er der Chef ist«, antwortet sie. Dann schweigt sie einen Moment und sieht mich nachdenklich an, bevor sie langsam fragt: »Wenn Sie öfter gegen Windmühlen kämpfen als für Ihre Patienten – stimmt dann nicht irgendwas ganz und gar nicht, Frau Weissenbach?«
Ich bin überfordert von ihrer Offenheit. Nein, wahrscheinlich stimmt dann irgendwas nicht. Aber das kann ich nicht sagen. Auf diese Frage KANN ich ihr nicht antworten. Ich bin PJlerin! Ich musste noch keinen einzigen wirklichen Kampf ausfechten. Alles, was ich sage, muss vermessen klingen. Aber worauf läuft ihre Frage hinaus? Worüber denkt sie nach? Dass sie unter diesen Umständen nicht hierbleiben sollte?! Bitte nicht, das darf nicht sein!
Diesen letzten Gedanken konnte man mir offenbar deutlich vom Gesicht ablesen. Denn Dr. Al-Sayed lächelt grimmig.
»Keine Angst. Ich gehe nicht weg, diesen Gefallen tue ich ihm sicher nicht. Und Sie werden vielleicht auch bleiben.«
Sie lächelt mich überrascht an. »Entschuldigen Sie! Jetzt habe ich Sie höchst unprofessionell in eine ganz persönliche Angelegenheit hineingezogen.«
»Das macht gar nichts«, beteure ich eilig. Und kann mir gerade noch verkneifen, zu sagen, wie toll es ist, von ihr in persönliche Angelegenheiten hineingezogen zu werden.
»Sie sind mein Vorbild in Sachen Professionalität«, sage ich stattdessen. Sie lacht und bedankt sich.
»Nur in einem Punkt hatten Sie nicht recht«, sage ich. Spinnst du, Lena? Widersprichst du deiner Oberärztin?
Aber ich weiß, was ich will.
»Die Kleine braucht einen Übergangsnamen«, erkläre ich. »Wir werden ihn den Adoptiveltern nicht sagen. Aber die Schwestern nennen sie nur Baby …«
Dr. Al-Sayed lächelt mich an. »Suchen Sie einen Namen aus!«
Ich brauche Luis’ Vornamenbuch nicht. Ich entscheide mich schnell. Victoria. Sie wird gewinnen. Als ich endlich in den Feierabend gehe, bin ich trotz allem sehr zufrieden mit dem Tag.
Ich komme spät und allein aus der Klinik. Ich trete aus der Tür, nichts ahnend.
Und dann geben meine Füße einfach so unter mir nach.
Vor dem Krankenhaus steht ein grüner Wagen.
Ein Mann steigt aus.
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