Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
Schwester Evelyn und schiebt mir mit ihren perfekten Hotelmanieren diskret ein Brieflein über den Tresen.
Oh, mein Gott, der ist sicher von Tobias. Oder von Alex. Erst im nächsten Moment kommt in meinem Gehirn an, dass beidekeine Briefeschreiber sind. Und dass ich an Tobias zuerst gedacht habe.
Der Brief ist weder von ihm noch von Alex, sondern von einem anderen wichtigen Mann meines Lebens. Einem sehr kleinen Mann. Frau Frisch hat mir ein Foto geschickt. Anton liegt in einem blauen Strampler in seinem Bett und fuchtelt mit den Händen. Über ihm hängt mein Mobile. »Danke«, steht auf der Rückseite, sonst nichts.
Ich trage das Foto in den Arztraum. Erinnerst du dich noch, Lena? Vor fast drei Monaten hast du dir gewünscht, nur ein einziges Babybild zu besitzen. Dass eines der vielen, überlappenden Fotos an der Wand ein Kind zeigt, das du auf die Welt geholt hast.
Jetzt stehe ich vor »meiner« Ecke und sehe in ihre Gesichter. Sina, Suraya, August, Pia. Suraya Perkins im kronenbestickten Strampelanzug. Pia Mayer auf dem Bauch ihrer Mutter.
Ich lasse die Hand mit der Reißzwecke wieder sinken. Antons Bild nehme ich mit heim. Das allein soll nicht hierbleiben.
D ie Nacht riecht nach Aufbruch, nach Möglichkeiten. Die erste warme Frühlingsluft. Als ich das letzte Mal vor meinem Haus auf einen grünen Wagen gewartet habe, war es noch tiefster Winter. Es scheint Jahre her zu sein.
Tobias hat mir so gefehlt. Als ich ihn anrief und seine warme, weiche Stimme hörte, habe ich plötzlich überhaupt nicht verstanden, wie ich auch nur eine Sekunde denken konnte, er sei nicht mehr der Mittelpunkt meines Lebens.
»Hallo, Lena«, hat er gesagt. »Wie schön, dass du anrufst.«
Nein, es war nicht wie früher. Tobias ist nie ein guter Telefonierer gewesen. Und er war ein noch schlechterer Über-Gefühle-Reder. Für so einen offenen, liebevollen Satz hätte ich mich früher in Bauchlage auf ein brennendes Flugzeug schnallen lassen. Diesmal sagte er es einfach so.
»Wie schön, dass du anrufst. Du hast mir furchtbar gefehlt.«
Nein, es ist absolut nicht wie früher. Es ist unfassbar viel besser. Als sein Wagen um die Ecke biegt, bin ich nur Freude, Erleichterung, Strahlen.
Ich sitze neben ihm im Auto, er sieht mich an. So lange, dass er an der Ampel nicht merkt, wie sie auf Grün schaltet. »Kuppeln, schalten, starten«, sagt eine Stimme in meinem Kopf. Nein, Lena. Das gehört nicht hierher.
Er steuert eine Treppe an einem Hügel an. Wie lange ist es her, dass wir hier waren? Wir steigen hinauf, von der Plattform kann man über die Stadt sehen. Oben stehen wir dichtnebeneinander. Wir haben uns noch nicht geküsst, er hat noch nicht einmal meine Hand genommen. Doch als ich jetzt so nah bei ihm stehe, scheint es das Natürlichste der Welt zu sein: Tobias und ich.
Er öffnet die Tür zu dem runden Restaurant in der Mitte der Plattform. Vor hundert Jahren haben wir hier meine erste OP gefeiert.
Um uns herum leuchten die Laternen der Stadt, ein Lichtermeer .
Wenn nur eine einzige Laterne brennt, klappt es.
Beim Essen erzählt er von seiner Zeit in Lesotho. Er ist verblüfft, wie viel ich über das Land weiß. Nein, Tobias, ich habe nicht all meine Schulbildung perfekt archiviert. Mein Afrika-Wissen ist noch ganz frisch. Nächtelanges Links-Klicken. Immer dieselben nichtssagenden Infos über Wetter, Kultur und Politik, nie etwas über dich. Nur deswegen haben die Fakten sich so in mein Hirn eingebrannt.
Er fragt mich über das Tertial aus, über Dr. Al-Sayed.
»Sie ist großartig, oder?« Ja, das ist sie. Aber nichts ist so großartig, wie mit dir hier zu sitzen. Wieder. Endlich.
»Weißt du schon, was du nun machen möchtest?« Es klingt, als seien meine Zukunftspläne auch für ihn von Bedeutung. Als ob sie ihn irgendwie betreffen. Und dann nimmt er meine Hand.
»Ich möchte ans St. Anna zurück«, sagt er.
»Ich weiß«, lächle ich. »Wo sollst du denn sonst hin?!«
Er lächelt ebenfalls. »Du könntest deinen Facharzt in Berlin machen«, sagt er.
Zukunftspläne. In meinem Kopf saust das Gedankenkarussell so schnell und laut, dass mir schwindlig wird. Tobias und ich. In Berlin. Am St. Anna. Ich als Assistenzärztin. Eigentlich will ich promovieren. Dr. med. Weissenbach. Es wird Jahre dauern, es ist nicht einfach, Facharzt zu werden. Schaffe ich das – nach dem Studium noch einmal vier bis sechs Jahre Weiterbildung? Worauf werde ich mich spezialisieren? Wie schön, wenn dir jemand zur Seite steht, der
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