Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
nichts von Sentimentalität.« Nein, klar. Ich auch nicht. Theoretisch.
»Ich hätte sie nur gern noch mal gesehen«, gebe ich zu.
Die Oberärztin sieht mich nachdenklich an. »Finden Sie es nicht besser so?«, fragt sie. Manchmal verstehe ich sie nicht. »Es kommt das nächste Kind, das Sie braucht«, sagt Dr. Al-Sayed. Vielleicht verstehe ich sie doch.
An Evelyns Empfang lehnt eine Frau, die ich kenne. Stella Heinze. Der Leistungssportler Korbinian.
Ich nehme sie mit in den Untersuchungsraum. Sie ist mittlerweile in der 39. Woche.
»Erst macht er so ein Theater«, lacht Frau Heinze, »und nun will er gar nicht mehr raus.«
Dr. Seidler entscheidet schnell. »Tja dann«, sagt sie, nachdem ich Frau Heinze vorgestellt habe, »holen wir Korbinian eben per Sectio auf die Welt.«
Ich darf Frau Heinze auf den Kaiserschnitt vorbereiten. Eine Stunde später stehen wir im OP. Wie Aliens, verpackt in Kittel, Mundschutz und weiße Gummistiefel.
Der Kaiserschnitt läuft problemlos, bis wir die Gebärmutter öffnen. Dann tritt das Fruchtwasser aus und wir stehen plötzlich allesamt im Wasser.
Ich habe immer über die Gummistiefel gelächelt. Jetzt begreife ich diese Maßnahme. Der Boden ist klatschnass. Die Szene könnte einem höchst surrealistischen Film entstammen – knieaufwärts konzentrierte Ärzte bei einer OP, unterhalb der Knie ein Gummistiefelszenario wie auf einem überschwemmten Schiffsdeck.
Fassungslos rutsche ich mit dem Stiefel auf dem nassen Boden herum. Und dann verliere ich den Halt.
DAS hier ist das absonderlichste Erlebnis dieses Tertials, Lena! Im OP auf einer Flut von Fruchtwasser ausgerutscht! Niemand glaubt dir das.
Ich fange mich gerade noch auf. In meinen Handgelenken kracht es. Doch auf den Schmerz kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen; ich bin nur darauf bedacht, mich so blitzschnell wieder aufzurichten, dass vielleicht wenigstens die Hälfte der Anwesenden meinen Ausrutscher nicht bemerkt. Dabei ist es ganz wesentlich, so auszusehen, als sei gar nichts passiert – sonst spricht mich später JEDER auf den Zwischenfall an. (»Tut dein Arm noch weh? Wie, Dr. Kennichnich, haben Sie etwa noch nicht gehört, wie Frau Weissenbach sich verletzt hat?« Nein, danke.)
Ich stehe mit zitternden Knien wieder am OP-Tisch und kämpfe mir ein Nichts-passiert-aber-war-das-nicht-komisch-Lächeln auf das Gesicht. Erst nach einer Sekunde wird mir klar: Hilfe, Lena! Du hättest jetzt auch ein Baby auf dem Arm haben können!
Aber Korbinian ist zum Glück noch nicht auf dieser Welt und so dem grausamen Schicksal entgangen. Eine Minute später holt Dr. Seidler das Baby aus der Gebärmutter. Es ist blutverschmiert, sein Gesicht ist kaum zu erkennen, die Nabelschnur pulsiert,Dr. Seidlers Arme sind bis fast zum Ellbogen voll Blut. Aber es ist ein winziger, perfekter Mensch. Ein Wunder. Immer wieder unfassbar.
Es fällt übrigens doch noch jemand auf den OP-Fußboden. Der werdende Vater wirft nur einen einzigen Blick auf sein Baby, dann sehe ich das Weiße in seinen Augen.
Zum Glück habe ich beide Hände frei. Ich versuche, ihn vor dem Aufprall zu bewahren. Warum ist er nicht auf seinem Stuhl sitzen geblieben, Dr. Seidler hat ihm doch angekündigt, dass so was passieren kann! Von dem Stuhl wäre er vielleicht nur sachte heruntergerutscht, jetzt verhindert nur mein behänder Sprung, dass er brutal auf den Boden knallt.
Doch so sicher wie gedacht ist mein Stand auf den nassen Fliesen auch nicht. Als ich den Mann an den Schultern zu packen kriege, reißt er mich mit sich und wir stürzen gemeinsam. Wenigstens landen wir einigermaßen sanft. Nur sein Becken kommt unglücklicherweise auf meinem schon angeschlagenen Handgelenk zu liegen und das tut dann jetzt doch mal richtig weh.
Im nächsten Moment schlägt er die Augen wieder auf und sagt: »Entschuldigung. Ich wusste nicht, dass es so eklig wird.« Hmpf. Das lässt du mal besser weder deine Frau noch dein Kind hören. Aber ich verstehe schon, was er meint. Der Anblick eines soeben Schnitt-entbundenen Säuglings ist nichts für schwache Nerven.
Während das Baby zum Waschen und zur Erstuntersuchung getragen wird, halte ich den schwach gewordenen Papa im Arm.
»Das muss Ihnen nicht peinlich sein«, tröste ich den großen Mann. »Ich bin auch schon mal im OP umgefallen. Beim Anblick eines Blinddarms.« Da wird er schon wieder ganz blass.
Ich komme nicht dazu, jemandem von meinem absurden Kaiserschnitterlebnis zu berichten. »Post für dich«, sagt
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