Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
assistieren darf, nickt die Oberärztin bedächtig und signalisiert damit, dass sie mit Jennys Patientenvorstellung zufrieden war. Meine Frau Rühlemann ist bereits auf dem Weg in den OP. Schade – weil Dr. Seidler nicht die Sprache darauf gebracht hat, ob ich assistieren möchte, bin ich gar nicht auf die Idee gekommen; dabei hätte ich doch mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie Jenny darum bitten können … Blöd, dass mir Dr. Al-Sayed auf dem Gang zwischen denAbteilungen dieselbe Frage stellt. »Sie können doch operieren«, sagt sie und lächelt zum ersten Mal an diesem Tag ganz leicht.
Ich erinnere mich an die OP, die wir im letzten Tertial gemeinsam durchgeführt haben. Eine Operation, in der es nicht nur um die Entfernung eines Tumors ging, sondern in der – ganz untergeordnet und für mich doch lebenswichtig – noch etwas anderes, Ungreifbares gerettet wurde. Meine Würde, mein Ruf, mein Bestehen auf der Chirurgiestation. Das knappe Lächeln der Oberärztin aber lässt keinen meiner neuen Kollegen ahnen, dass mehr gemeint sein könnte, als dass es von der Chirurgie nichts Negatives über mich zu berichten gab.
Ich gebe zu, dass ich schlicht nicht darauf gekommen bin, mich allein um eine OP zu bewerben, wenn die Stationsärztin diese Möglichkeit nicht anspricht. Die Oberärztin sieht mich wortlos an, abwartend. Und schon komme ich mir doof vor. Ja, soll ich denn hier alles allein entscheiden? (Dann gebt mir doch das Examen jetzt schon! Dann übernehme ich den Laden und bestimme alles für alle auf eigene Faust!)
»Beim nächsten Mal sprechen Sie es an«, empfiehlt Dr. Al-Sayed. (Mist, ich hatte mich in diesem flüchtigen Moment schon fast an den Gedanken gewöhnt, das Examen bereits in der Tasche zu haben.)
In der perinatalen Abteilung stelle ich Frau Frisch vor, deren Wehen mittlerweile permanent überwacht werden. Die Tokolyse scheint anzuschlagen, die Medikamente haben die Wehentätigkeit etwas verringert, zum Stillstand sind die vorzeitigen Wehen jedoch nicht gekommen. Ich habe trotzdem das Gefühl, dass meine Patientin sich ein wenig beruhigt hat. Ein Grund dafür ist bestimmt, dass jetzt die Lungenreifungs-Prophylaxe durchgeführt wird und sie weiß, dass damit Pünktchens Überlebenschancen auch bei einer Frühgeburt gestiegen sind. Aber ich bin sicher, dass da noch etwas anderes ist. Vielleicht, dass sie es sich seit ihren Unterhaltungen mit dem Baby endlich erlaubt, an eine glückliche Geburt zu glauben? War es falsch, dieses Gefühl in ihr zu wecken und sie im Glauben an eine Sache zu bestärken, die ichihr keineswegs versprechen kann? Andererseits: Wie soll sie sonst die Kraft und die Ruhe entwickeln, die sie braucht, um ihr Baby durchzubringen? Jetzt bin ich doch wieder froh, mich auf eine Stationsärztin berufen zu können, die meine Taktik abgesegnet hat. (Vielleicht schiebe ich die Übernahme des Krankenhauses doch noch ein wenig hinaus …)
Alles in allem können wir mit der Oberarztvisite zufrieden sein. Auch der Rest des Freitags gestaltet sich gnädig. Ich darf Frau Perkins zur Abschlussuntersuchung begleiten. Beim Entlassungsgespräch erlebe ich meine Stationsärztin sogar einmal nicht in Bewegung. (Siehe da, wenn sie still steht, wippt die Frisur nur noch einen Moment nach, dann senkt sich der praktische Bubischnitt erschöpft auf das Stationsärztinnenhaupt und man sieht ihn förmlich verschnaufen.)
Dr. Seidler ist zufrieden mit Frau Perkins und der Bericht der Pädiatrie erklärt auch die kleine Suraya für vorbildlich entwickelt. Ihre Gelbsucht ist fast abgeklungen und die zweite Kindervorsorgeuntersuchung hat keinerlei Probleme zutage gefördert. Luis Berger, die entspannte Hippie-Hebamme, bringt Frau Perkins einen Blumenstrauß, dessen Gemüsekrautlook zwar nicht gerade gewinnend ist – garantiert stammt er aus dem staubigen Klinikshop –, die Geste aber bringt Frau Perkins fast zum Weinen. Sie betont gleich dreimal, wie wohl sie sich bei uns gefühlt hat. (Und wenigstens zweimal auch, wie sehr ich dazu beigetragen habe! Danke!) Dann holt Herr Perkins seine beiden Frauen ab – und sein »Auf Wiedersehen« hat Zimmerlautstärke. Ein letzter Blick, ein letztes Winken mit dem Blumengestrüpp, dann sind sie verschwunden. Der Entlassungsbrief ist natürlich meine Aufgabe. Doch heute macht es mir gar nichts aus, für Frau Perkins und »mein« erstes Baby tue ich das richtig gern.
Frau Rühlemann ist aus dem OP zurück und noch sehr schwach. Sie schläft,
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