Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
Paar sich endlich ohne diese zähe Bremse austauschen kann, frage ich Alex, ob er tanzen will. Zwar schien er sich in den letzten Minuten nicht gerade wie verrückt für mich zu interessieren, aber immerhin ist er der Einzige, den ich hier sonst kenne … Ich würde meine verliebten Freunde wirklich gern mal für einen Moment allein lassen – und trotzdem nicht allein durch Bauch, Beine, Po stromern.
Alex dreht sich zu mir um, grinst und sagt, dass er mich schon seit einer Viertelstunde auffordern, aber die Unterhaltung nicht stören wollte. Hups, Lena, das sollte Rücksicht sein, kein Desinteresse … Nun gut, umso besser. Gemeinsam gehen wir in den Vorraum hinaus, Alex begrüßt ein paar Leute, deren Namen ich sofort wieder vergesse. Ich strebe den Beine -Raum und seine Tanzklassiker an, doch Alex hält mich zurück und deutet auf die Herz -Abteilung.
»Ich schwör dir, die bessere Stimmung ist dort!« Ich öffne die gepolsterte Tür zu den Beinen und werfe einen kurzen Blick hinein. Jenny und Felix flippen zwischen dicht gedrängten Paaren zu einem 80er-Hit aus – für mich sieht das nach ziemlich toller Stimmung aus. Aber ich bin neugierig, ob Alex mit seiner siegessicheren Miene recht hat und folge ihm durch die andere Schalltür ins Herz .
Der Raum ist plüschig eingerichtet, hat mit rotem Samt bezogene Wände und ist brechend voll. Es läuft Für mich soll’s rote Rosen regnen , von dem ursprünglichen Song ist aber gar nicht so viel zu hören, weil alle Anwesenden enthusiastisch laut mitsingen. Im nächsten Moment habe ich ein Glas mit einer knallgrünen Flüssigkeit in der Hand und eine Dame im bodenlangen Kleid buchstäblich am Hals. Sie hat einen schraubstockfestenArm um mich gelegt und singt mit rauchiger Stimme, als sei sie Hildegard Knef persönlich. Alex an meiner anderen Seite singt nicht, lacht jedoch ansteckend und hat ebenfalls einen der fröhlichen Sängerknaben am Hals – einen bebrillten Mann, dem das grüne Getränk wohl schon eine schwere Schlagseite verpasst hat. Die Stimmung nimmt mich sofort gefangen, greift noch stärker nach mir als Möchtegern-Hildegards Arm und trägt mich davon. »Mich fern vom Alten neu entfalten«, singt die Dame in mein Ohr, »von dem, was erwartet, das meiste halten. Ich will, ich will …« Vielleicht ist es das, Lena, was du brauchst? Nicht mehr sehnen, einfach loslassen?
Zum Glück wechselt das Lied, bevor die Sentimentalität zubeißen kann. Auf der Reeperbahn nachts um halb eins, die Dame umarmt jetzt den nächsten, neben mir grinst ein Typ im Anzug, alle schaukeln und dem Anzugträger schwappt bei jedem Schunkler ein bisschen grasgrüner Schnaps aus dem Glas aufs Jackett. Ich kenne nicht den ganzen Text, aber beim Refrain gröle ich plötzlich lauthals mit, ich bin schon angesteckt. Als sie zu Liebeskummer lohnt sich nicht übergehen, bei dem ich nicht mitsingen kann und nur die strahlenden Sänger anstaune, schießt mir plötzlich der Gedanke durch den Bauch, dass sie vielleicht recht haben. Kann es sein, dass die alle viel klüger sind als ich? (Das ist nun aber wirklich Naiv-Kitsch, Lena, die singen hier nur, weil es ihnen Spaß macht, und hieße der Text »Liebeskummer ist alles, was zählt, my darling«, würden sie dazu ebenso euphorisch brüllen!) Veronika, der Lenz ist da erlöst mich von der Kurzgrübelei, wieder stimmen alle ein – die kennen wohl alles! –, umarmen sich und schunkeln. Es ist wie ein Polterabend oder Omas Geburtstag in einer verrückten Zeichentrick-Familie. Ich finde es herrlich.
Drei Schlager später habe ich Alex im Arm und singe mit den Verrückten, ich sei noch niemals in New York gewesen – stimmt ja. Jetzt singt auch Alex und grinst mich dabei zufrieden an. Seine Stimme ist angenehm und er singt mit einer sympathischen Selbstironie, ohne dass ich den Eindruck kriege, er würde sich für unser aller Gesang fremdschämen.
»Zu viel versprochen?«, fragt er zwischen zwei Liedern und ich schüttle den Kopf und sage, wie großartig ich es finde. Er lächelt, seine Hand drückt warm meine Schulter, aber es bedeutet nichts weiter, als dass wir beide uns gut verstehen und gerade einen ziemlich tollen Moment miteinander teilen. Keine Zweideutigkeiten, keine Peinlichkeit, einfach ein netter Typ. Doch, ich fühle mich ziemlich wohl in seiner Gesellschaft. Jenny hätte auf keiner besseren Begleitung bestehen können.
Jenny selbst kommt übrigens eine halbe Stunde später zu uns, plötzlich hängt sie an meinem
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