Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
kriegt den Mund nicht auf und Patrick wäre besser Ingenieur geworden!« Tja, sie bringt es mal wieder auf den Punkt.
Eine letzte Wagenrunde, ein letzter Besuch bei meinen Schützlingen, dann ist der Tag geschafft. Frau Frisch wirkt etwas ruhiger. Ich rate, Pünktchen heute Abend ein Schlaflied zu singen (hört ja keiner) und hoffe, dass sie sich damit auch vom typischen nächtlichen Sorgen-Anstieg ablenkt.
Frau Rühlemann ist nervös, sie hat ihre Beruhigungstablette noch nicht bekommen, und ich opfere noch fünf Feierabendminuten, um mir von ihr erklären zu lassen, warum das Krankenhausessen nicht den neusten ernährungspsychologischen Erkenntnissen entspricht. Ich bleibe, bis die Schwester das Sedativum bringt, dann kann ich endlich nach Hause.
In der S-Bahn erst wird mir klar, dass ich gar keinen Grund habe, mich so zu beeilen. Was erwartet mich denn zu Hause? Isa vor ihrem Laptop, Jenny bei Felix, mit Felix oder auf dem Weg zu Felix. Auf mich wartet nur ein Bücherstapel. Und mein Computer. »Lesotho« hat fast 270 000 000 Treffer. Ich wette, 100 000 davon sind schon lila. Lila wie »besuchter Hyperlink«, lila wie »verzweifeltes Festklammern an überflüssiger Information«, lila wie »Lalala, ich lese alles«. »Lesen ist lebloser Ausgleich.« »Lesen ist lediglich armselig.« Lila wie »Ich denke noch immer an dich.«
Besser, ich gehe überhaupt noch nicht heim. Stattdessen drehe ich noch eine Runde durch unser matschiges Viertel. Es ist schon dunkel, die Laternen umnebelt, man könnte sich so richtig reinsteigern in diese Einsamkeit.
Zum Glück komme ich am Spätshop an der Ecke vorbei. Wenn irgendwas gegen Melancholie hilft, dann ist es dieser vollgestopfte Laden. Der Besitzer kennt mich, wir gehören zu seinen besten Kunden. Sicher hat niemand im Viertel so oft späte Essensgelüste zu befriedigen wie wir.
»Na«, ruft er mir zu, »sind euch mal wieder die Smartiesausgegangen?« Die drei Biertrinker vor dem Laden lachen. (Mann, EIN EINZIGES MAL hat uns nachts im Lernstress der Heißhunger auf Smartieskuchen überfallen! Wir hatten uns irgendwie in die Vorstellung hineingesteigert, dass das Leben tausendmal einfacher war, als wir fünf waren – und es gibt nichts Besseres, um sich wie eine Fünfjährige zu fühlen, als Smartieskuchen zu backen.)
Eigentlich wollte ich gar nicht reingehen, aber der Besitzer winkt mit einer Sonderedition Schokolade in Kätzchenverpackung und ich kann nicht widerstehen.
Einmal am Tresen dem bunten Grabbelsortiment ausgeliefert, ohne die vernünftige, impulskaufbremsende Isa und mit so viel zu kompensierender Sehnsucht im Bauch, bin ich nicht zu stoppen. Ich kaufe Sammelbildchen-Tüten, Liebesperlenpistolen, PEZ-Spender mit Vampir-Köpfen und Rubbellose. Alles dreimal. Danach geht es mir sofort viel besser und wegen der Vorfreude, meine Freundinnen mit dem Blödsinn zu überraschen, kann ich es nun gar nicht abwarten, heimzukommen. Der Ladenbesitzer schenkt mir einen Glückskeks und ich stürme nach Hause.
Noch auf der Straße reiße ich den Keks auf und finde den Spruch: »Ein großer Mensch ist, wer sein Kinderherz nicht verliert.« Okay, tief im Herzen hatte ich mir etwas anderes gewünscht. Einen kitschigen Liebesspruch. »Jemand denkt an dich.«
Aber der Satz in meinem Keks ist so passend, dass ich einfach grinsen muss. Die erhoffte Liebes-Ermunterung hätte mich sicher nur wieder an den Computer zurückgetrieben. MEIN Spruch aber ist nicht nur herzerwärmend, sondern auch die Absolution für all meine Schnulli-Einkäufe! Was will ich mehr?!
»Wo BLEIBST du denn?!« In unserer Küche bietet sich mir ein überraschendes Bild. Isa und Jenny haben gekocht und sogar den Tisch dekoriert – und das offenbar schon vor einer ganzen Weile. Denn das Essen ist kalt und die Mienen sind ein wenig müde. »Da will man dich einmal exklusiv überraschen«, beschwert sich Jenny, »und wer kommt nicht?!«
Hätte ich gewusst, dass sie warten, hätte ich keine Zeit imSpätshop verbummelt – so aber habe ich nicht nur eine Entschuldigung, sondern auch eine Entschädigung parat.
»Tja«, verteidige ich mich, »wenn man schon exklusiv überrascht wird, kommt man doch nicht ohne Gastgeschenk!« Ich verteile meine Impulskäufe. Jenny freut sich wie ein Schneekönig und reißt sofort alles auf. Isa hat Bedenken, ob mein bescheidenes Taschengeld damit so klug angelegt ist. Aber ich halte ihr meinen Kinderherz-Glückskeks-Spruch unter die Nase und sie verstummt lächelnd.
Jenny
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