Miss Emergency
nicht einfach knutschen und sich dann verstecken!«
»Er versteckt sich nicht, er ist bei einem Notfall«, halte ich dagegen. Nicht nur für Jenny – sondern am meisten für mich selbst.
Als wir auf die Station zurückkommen, ist eben die Bauchspeicheldrüsen-OP beendet. Die Chirurgen verlassen den OP-Bereich, müde und erschöpft. Nur Dr. Thiersch wirkt völlig unbeeindruckt. Sie stöckelt energisch auf den Flur, als wäre sie nur zum Händewaschen im OP-Trakt gewesen. (Ich frage mich wirklich, wie die Oberärztin es hinkriegt, dass ihr Haar einfach IMMER perfekt sitzt? Vielleicht ist ihre Frisur eine Art Helm? Ich stelle mir vor, wie sie morgens ihre Haarpracht auf einer Noppe oben auf ihrem Kopf festdrückt. Lego-Haare. Das ist die einzig mögliche Erklärung.)
Als Letzte kommt unsere PJ-Kollegin Sabrina aus dem OP. Sie seufzt kraftlos, wirkt aber zufrieden, offenbar ist es gut gelaufen für sie. Und siehe da – Dr. Thiersch bleibt kurz stehen, wartet auf die erschöpfte PJlerin und sagt fast freundlich: »Frau Schulte, wenn Sie sich weiterbilden möchten, leihe ich Ihnen zur Nachbereitung gern Literatur.« Klar, da kann niemand Nein sagen. Sabrina schüttelt die Ermattung ab, schließt eilig zur Oberärztin auf und nickt beflissen. »Es ist ja immer gut, sich einen kleinen Vorsprung zu verschaffen«, sagt Dr. Thiersch vage in Sabrinas Richtung und klingt fast nett – aber ich schätze, sie wäre nicht so freundlich, würden wir nicht hier auf dem Flur stehen und ihr Gelegenheit geben, gleichzeitig mit der Ermutigung an EINE PJlerin eine Demütigung an drei andere auszuteilen. Na klar. Die kommen aus dem OP – und hier stehe ich mit einem Pudding in der Hand. Dr. Thiersch sagt nichts dazu und zieht nur abfällig die Augenbrauen hoch; das aber genügt, damit ichschon wieder das Gefühl habe, durchgefallen zu sein. Dass der Pudding für Schwester Jana ist, kann man jetzt auch nicht mehr ohne Peinlichkeit erwähnen, denn sie hat mich ja nicht darauf angesprochen. Dr. Thiersch reißt ihre Bürotür auf, Sabrina folgt ihr stolz und ich frage mich, warum sie die einzige PJlerin bevorzugt, die wirklich schon dicht dran ist an der offenbar von Dr. Thiersch vehement gegen weibliche Konkurrenz verteidigten Chirurgen-Festung.
»Warum wird die so bemuttert?«, fragt Jenny leise. »Sabrina wird doch viel schneller Chirurgin als wir.« Aha, sie hat es auch gemerkt. Jennys Schlussfolgerung ist unbarmherzig. »Wahrscheinlich, weil sie dick ist.« Isa sieht sie entsetzt an. Jenny winkt ab. »Mach dir nichts vor, Isa! Eine wie Sabrina kann Dr. Thiersch guten Gewissens bevorzugen. Sie wird sie nie überholen! Selbst wenn Sabrina eine Spitzen-Ärztin wird, bevor sie dreißig ist, kann sie Dr. Thiersch doch nie GANZ das Wasser reichen, denn Thiersch hat zudem noch Kleidergröße 36!« Es gefällt mir nicht, aber ich fürchte, Jenny hat recht.
»So SIND Ärzte nicht!«, empört sich Isa.
Jenny lacht. »So sind FRAUEN!«
Die Visite läuft sehr gut, Dr. Gode scheint im Gegensatz zu Dr. Thiersch überhaupt kein Problem mit Frauen zu haben. Er befragt uns in Bestlaune und macht Komplimente für jede noch so vorhersehbare Antwort. Jenny hat Paula Schwab heute Morgen schon allein untersucht und rapportiert vorbildlich. Paula ist zwar auch heute nicht gewillt, Dr. Gode einen Blick zu schenken, aber der sonnige Arzt hat eingesehen, dass es hier auch mit noch so viel Charme nichts zu gewinnen gibt und lässt Jenny die Visite durchführen. Noch ein paar Voruntersuchungen, blutchemische Laboruntersuchung und Thromboseprophylaxe, dann wird Paula operiert.
»Ich zähle auf dich, Jenny«, sagt sie. »Du bist die Einzige, der ich meinen Magen echt gern spenden würde.«
Jenny strahlt. »Mal schauen«, sagt sie brav, »das entscheidet Dr. Thiersch.« Aber ich sehe ihr an, dass sie sofort in den OP marschierenund selbst Hand anlegen würde, so glücklich ist sie über Paulas exklusives Vertrauen.
Bei Frau Jahn in Zimmer 4 lässt Dr. Gode sich die Morgenbefunde zusammenfassen. Ich erwähne den erhöhten Blutdruck und er runzelt die Stirn und bittet mich um eine Kontrollmessung. Jetzt ist alles in Ordnung. Aber als ich vom Bett zurücktrete, fällt mein Blick zufällig auf Frau Jahns Nachttischlektüre. Sie liest Charlotte Link. Hätte ich ihr nicht zugetraut, sie sieht mehr wie der Hertha-Müller-Typ aus. Gut, ich bin die Letzte, die etwas gegen gemütliche Unterhaltungslektüre hat – aber Bluthochdruck durch Charlotte? Ich bin
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