Miss Emergency
entschlossen, Frau Jahn ein wenig im Auge zu behalten. Ich glaube, sie hat mich vorhin schlicht beschwindelt. Oder wer macht sich Lesenotizen zu einem Charlotte-Link-Roman?
Bei Frau Schneider mit den Gallensteinen schiebt Dr. Gode Isa nach vorn. »Diese junge Dame schneidet Ihnen morgen ein bisschen den Bauch auf.«
Natürlich ist das eine denkbar schlechte Eröffnung für Isa, die mit solcher Art Nonchalance absolut nicht umgehen kann. Aber hier heißt es Souveränität zeigen, das weiß auch sie. Ziemlich taff für ihre Verhältnisse lächelt sie Frau Schneider an und sagt: »Keine Angst, ich assistiere nur. Aufschneiden werde ich wahrscheinlich noch lange nicht dürfen.«
Das war die absolut richtige Antwort, Frau Schneider erwidert das Lächeln und entgegnet: »Ich bin sicher, Sie assistieren hervorragend.«
Nach der Visite gesteht Isa uns, dass sie mehr Angst vor den Ärzten als vor den Patienten hat. »Ich glaube, wenn ich erst mal im OP bin und es darauf ankommt, zu helfen, werde ich mir überhaupt keine Sorgen mehr machen. Aber das OP-Vorgespräch bei Dr. Thiersch … ich wünschte, da könnte eine von euch für mich hingehen!«
»Wie kannst du heute schon an morgen denken?!«, fragt Jenny fröhlich. »In zwei Stunden ist Feierabend und du wirst deine erste Party geben!«
Gemein – aber es hilft: Mit dieser neuen Unsicherheit konfrontiert, stellt Isa ihre Sorgen um den nächsten Tag hintan. »Oh Mann, ich denke, es ist nur ein kleines Essen und DU kochst?!«, sagt sie zaghaft. Jenny grinst.
In den nächsten zwei Stunden ist Isa nicht die aufmerksamste Ärztin der Station; sie findet, dass sie auch etwas zu dem Essen beisteuern sollte und grübelt, welcher Nachtisch zu indischem Essen passt. Und soll sie dekorieren? Gibt sie Tom sein Geschenk vor allen anderen oder wäre ihm das peinlich? Finden WIR es blöd, dass sie Tom einen Füller schenkt? ICH finde es eigentlich süß, Jenny meint, es wäre auf jeden Fall passend. (Vielleicht wäre es nicht nötig gewesen, zu sagen, dass Tom sich sicher sehnlichst einen Füller wünscht, nachdem er sein ganzes Studium mit Buntstiften hantieren musste.) Als wir die Klinik verlassen, hat Isa jedenfalls beschlossen, ein Ersatzgeschenk zu besorgen und im Kopf eine endlose Einkaufsliste zusammengestellt. Wir warten vor dem Aufzug. Als er kommt, entscheide ich mich in einer Kurzschlusshandlung, nicht mitzufahren.
»Ich hab meinen Stift im Vorbereitungszimmer liegen lassen«, sage ich. »Ihr wisst doch, Glückskuli. Aber fahrt ruhig schon runter.« Meine Freundinnen schmunzeln. Und steigen ein. Ich versichere mich mit einem schnellen Griff, dass mein Glückskuli sicher in meiner Kitteltasche steckt – dann nehme ich die Treppe.
In der ersten Etage öffne ich die Zwischentür. Nur so, bloß mal gucken. Der Gang ist leer. Ich warte. Wenn ich es schaffe, bis hundert zu zählen, bevor hier jemand vorbeikommt, ist Thalheim noch in seinem Büro. Warum hundert, Lena? Fünfzig ist eine viel schönere Zahl! Ich zähle, so schnell ich kann. Siebenundvierz-achtundvierz-neunundvierz-fuffzig. Keiner da. Ich trete auf den Flur. Orakel haben immer recht. In seinem Büro brennt noch Licht.
Ich gehe langsam näher. Bestandsaufnahme, Lena! Ihr habt euch geküsst, es war traumhaft, er fand es nicht richtig, küsst aber noch mal. Daraus darf eine selbstbewusste Frau doch wohl schlussfolgern, dass sie eine unwiderstehliche Anziehungskrafthaben muss! Und dass also jeder, den sie spontan zum Feierabend besucht, darüber sehr glücklich sein müsste. Trotzdem – da man schlecht mit »Ich schätze, du vermisst mich« in sein Büro spazieren kann (Nun ja: ICH kann es nicht), wäre es tausendmal besser, wenn er jetzt herauskäme … Bitte, bitte, komm! Du könntest fühlen, dass ich hier stehe! In Filmen klappt das so oft! Schritte. Mir wird eiskalt. Seine Tür öffnet sich. »Hallo!«
Wie habe ich seine Stimme vermisst, sein leicht spöttisches Lächeln, IHN! Klar, er weiß, dass ich hier nichts mehr zu suchen habe. Seinetwegen da bin. »Hallo!« Mehr fällt mir auch nicht ein.
Er kommt auf mich zu. »Was machst du hier?« Ich hole Luft. (Und jetzt? »Ich wollte dich sehen«? »Hab mich im Stockwerk vertan, haha, alte Gewohnheit«? Manno, hätte ich doch den Mut zu »Na, ich komme dich küssen!« Ähm … könntest du dich dann überhaupt mal zu einer Antwort entschließen, Lena? Sag was!)
Er sieht mich an. »Du kommst gerade zur richtigen Zeit.« Dann öffnet er die Tür eines
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