Miss Emergency
Schneewittchen lässt grüßen. (Bolusinkarzeration, Verklemmen eines Fremdkörpers in der Speiseröhre. Tobias Thalheim trägt mich in den Funktionsraum 2 zur Endoskopie, unterwegs löst sich das Apfelstück in meiner Kehle, ich spucke es anmutig auf den Fußboden undwir küssen uns. Leider ist Tobias noch nicht hier, an den kleinen Cafeteriatischchen sitzen nur Zwerge.) Ich huste und komme zurück zum Wesentlichen: »Hat man es so deutlich gemerkt?«
»Ich schon«, nickt Ruben. »Aber die meisten hier sind ja blind und taub auf ihren Liebessensoren.«
Sehr tröstlich. »Du darfst es keinem Menschen sagen!«, flehe ich.
Ruben erklärt empört, er habe noch nie auch nur ein winziges Geheimnis verraten. »Wenn du wüsstest …« An jedem anderen Tag hätte es mich brennend interessiert, was er noch so für Klinik-Geheimnisse kennt. Heute kann ich an nichts anderes denken als meinen gestrigen Auftritt und seine angebliche Deutlichkeit.
»Sag mir, wenn ich falschliege, Lena, aber … Dr. Thalheim und eine Kollegenaffäre?! Ich wette, er versucht so peinlich, jede Aufmerksamkeit zu vermeiden, dass es kaum auffälliger geht!«
Ich muss grinsen. Schön wäre das. Bisher sind wir ja noch längst nicht in dem Stadium, in dem es um Aufmerksamkeitsvermeidung geht – und es ist noch nicht mal raus, ob wir jemals dahin kommen werden! Aber klar, ich weiß, was Ruben meint. Und wie schön, dass ausgerechnet er einmal etwas nicht weiß. »Ach, na ja«, lächle ich erwachsen, »wir vermeiden es natürlich, uns öffentlich abzuknutschen. Aber wir machen uns jetzt auch nicht verrückt mit der Geheimhaltung …«
Ruben grinst mich an. »Ich wette, ihr hattet noch nicht ein einziges richtiges Date!«
Eine halbe Stunde sitze ich in der Cafeteria. Kein Thalheim. Ich sehe dauernd zur Uhr und beruhige mich damit, dass es immer noch nichts bedeutet, dass er noch nicht da ist – es ist schlicht zu früh. Er kann noch gar nicht mit mir rechnen. Ruben hat zum Glück zu tun, er teilt Suppe, Pasta und Pudding aus und begnügt sich damit, mir immer wieder einen amüsierten Blick zuzuwerfen. Ach ja, der Pudding für Schwester Jana. Aber wenn ich jetzt noch mal zum Tresen gehe, fange ich mir garantiert einen Spruch ein. Endlich kommen meine Freundinnen. »Und?«,fragt Jenny aufgeregt und wie immer eine Spur zu laut. »Ist er schon aufgekreuzt?«
»Psst!« Isa ist zu meiner Erleichterung etwas mehr auf Formwahrung bedacht. »Wenn auffliegt, dass da etwas läuft, können sie sich überhaupt nicht mehr hier treffen!« Schlimmer, Isa: Wenn auffliegt, dass ich hier auf ihn warte, wird er vielleicht überhaupt nicht mehr herkommen! Meine Freundinnen wirken ebenso glücklich über die neue Station wie ich – mit noch mehr Grund, schließlich haben sie schon eigene Patienten (Jenny), die erste OP in Aussicht (Isa) und niemanden, dessen täglichen Umgang sie vermissen. Isa hat ein wenig Angst vor der morgigen OP-Assistenz. Und, wie sie nach einer Weile zugibt, auch vor der Party am Abend.
»Ich habe noch nie eine Party für jemanden gegeben«, sagt sie zaghaft lächelnd.
»Es kommen drei Leute zum Essen und ICH koche – wo ist das eine Party?«, mosert Jenny.
Isa ist nicht überzeugt. »Aber was, wenn Tom das übertrieben findet?«
»Schätzchen, hast du schon jemals gehört, dass du in irgendeiner Sache übertrieben hast?«, fragt Jenny. Isa ist beruhigt. »Ich hätte eher Angst, dass gar keiner merkt, dass das eine Party sein soll!«, flüstert Jenny, als Isa für mich Schwester Janas Pudding sichern geht. »Ich wünschte, ich könnte die Party selbst geben. Immerhin kommen auch Leute, die ICH beeindrucken will.«
Davon hatte ich, ehrlich gesagt, keine Ahnung. »Tja«, sage ich schäbig, »dann hättest du den armen Tom wohl behalten müssen.«
Jenny schüttelt schnell den Kopf. »Das ist wohl keine Party wert«, grinst sie.
In diesem Moment kommt Isa zurück. Sie stellt Janas Pudding auf den Tisch und flüstert: »Ich soll dir sagen, er ist bei einem Notfall und Ruben glaubt nicht, dass er noch kommt.« Okay, dann gehen wir eben. Ich habe die Pause ohnehin schon unmäßig überzogen. Schade. Aber irgendwie ist es auch okay, dass wiruns nach dem gestrigen Abend nicht hier vor allen treffen. Denn wenn ich ganz ehrlich bin, glaube nicht mal ich, dass er heute NICHT bedächtig an mir vorbeigehen würde.
»Nach Feierabend spazierst du in sein Büro und fragst, was Sache ist!«, entrüstet sich Jenny im Aufzug. »Er kann dich doch
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