Miss Emergency
gesagt, dass du vergeben bist. Bist du doch, oder?« Ich zögere. Was wäre aus dem Abend geworden, wäre nicht Miss Kittelgröße-36-Superchirurgindazwischengekommen? Jenny lacht. »Vergeben sein ist eine innere Einstellung!« Na dann kann ich guten Gewissens bejahen.
Als Tom kommt, ist er immer noch im Anzug – was ihm ziemlich gut steht – und für seine Verhältnisse regelrecht überdreht. Er umarmt uns alle, lässt sich beglückwünschen und ist richtig gerührt von der Mühe, die wir uns für ihn gemacht haben. Isa strahlt stolz, immerhin ist sie nun die Freundin eines zertifizierten Akademikers und sie erwähnt gleich mehrfach, dass er in seinem flotten Anzug sicher jeden nur wünschbaren Job ergattern wird. Leider kommt kurz darauf Jennys Date, ein smarter Start-Up-Unternehmer namens Björn, und läuft Tom den Rang ab. Denn Björns Anzug ist aus einer Maßschneider-Liga, seine Begrüßung mit Küsschen wirkt locker und dennoch formvollendet und er hat tatsächlich Champagner mitgebracht. Zum Glück scheinen weder Isa noch Tom den ausgestellten Klassenunterschied zu bemerken und Björn sieht zwar auf den ersten Blick aus wie ein Angeber, beweist aber schnell, dass er keiner ist; seine Fragen nach Toms Studium wirken ehrlich interessiert und zielen nicht auf Selbstdarstellung ab.
»Mein« Date, Björns Freund Stefan, IST leider ein Angeber, aber zum Glück wenigstens von der charmanten Sorte. Er macht mir übertriebene Komplimente und prahlt ein wenig mit seiner PR-Agentur. Aber Komplimente, aus denen nichts folgen soll, hört man ja ab und an gern, einen Abend lang kann ich ihn schon ertragen. Und je länger Stefan redet und kokettiert, desto höher steigt auf meiner inneren Punkteskala die Attraktivität eines anderen Mannes, der niemals von sich selbst redet und keine Komplimente macht.
Jennys Essen ist fabelhaft und wir krönen es mit Björns Champagner. Jeder bringt einen Trinkspruch auf Tom aus, der sich als Mittelpunkt des Abends entzückend unwohl fühlt. Tom ist der Letzte an seiner Uni, der noch ein Diplom bekommt, alle anderen werden Bachelors. »Das ist doch toll«, sagt Isa, »du bist der Einzige, der noch Qualität hat!«
»Und jeder sieht daran, wie ewig du studiert hast«, grinst Jenny.
Tom ist ein wenig gekränkt. »Ich hatte zwischendurch schwierige Phasen«, sagt er – zwar leise, aber direkt zu Jenny. Oh Mann, ich hoffe, jetzt kommt nicht seine Trennung von Jenny zur Sprache, ihr überstürzter Auszug, seine traurige Zeit danach … Jenny trinkt hastig. Peinlichkeit senkt sich über uns Mädels. Bis Tom grinst. »Ihr habt ja keine Vorstellung, wie es einen Mann fertigmacht, wenn sein Verein absteigt!« Wir alle atmen durch und Björn und Stefan, die keine Ahnung haben, woher eben die kurze unbehagliche Stille kam, steigen engagiert auf das Thema Fußball ein, sodass das Gespräch sofort wieder fröhlich überschwappt.
Um elf verabschiedet Isa sich in Richtung Schlafzimmer. »Ich muss ins Bett«, lächelt sie bedauernd, aber voller Stolz. »Immerhin habe ich morgen früh eine OP.« Dafür haben natürlich alle Verständnis – und ich kann den Tag kaum erwarten, an dem ich dasselbe von mir behaupten kann. Tom darf bei uns übernachten, er bedankt sich herzlich für den Abend, dann verschwinden die beiden Turteltäubchen in Isas Zimmer. (Tom ist übrigens der Einzige, der manchmal hier übernachten darf. Wir müssen um sieben das Haus verlassen und flattern morgens wie die Hühner halb angezogen zwischen Kaffeemaschine und Badezimmerspiegel hin und her, dabei können wir weder gastlich sein noch Zeugen gebrauchen. Tom steht allerdings zuverlässig eine Stunde vor uns auf und ist spurlos verschwunden, wenn Isas Mitbewohnerinnen sich aus den Betten quälen.)
Jenny und ich verabschieden unsere Dates nur wenig später und teilen uns dann in der Küche die letzten kalten Vindaloo-Reste. Jenny äußert sich etwas zynisch über Björn – sie fand den Champagner übertrieben – aber daraus, dass sie überhaupt so lange von ihm spricht, schließe ich, dass er ihr letztlich schon gefällt. Klar, Manieren UND Geld sind keine übermäßig häufige Kombination bei Männern unserer Altersklasse und Jenny ist durchaus geneigt, sich von Björn die kalten Herbsttage verschönern zu lassen. Jedenfalls hat sie sich für morgen Abend wieder mit ihm verabredet.
Endlich finde ich Gelegenheit, von meiner abrupt beendeten Thalheim-Begegnung zu erzählen. Solche Widrigkeiten sind genau die
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