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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rothe-Liermann Antonia
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Begegnungen schon nicht vermeiden lassen – werde ich genauso lässig-distanziert sein. Nett. Unnahbar. Wie – Kuss? Das hat Ihnen doch hoffentlich nichts bedeutet?! (ICH küsse nämlich regelmäßig und ganz zwanglos alle meine Vorgesetzten beim Abschlussgespräch. »Vielen Dank für die angenehme, lehrreiche Zeit in Ihrer Abteilung und hier noch ein Kuss.« Auch Dr. Thiersch werde ich zum Abschied hingebungsvoll knutschen, was dachten SIE denn?!)
    Es ist beschlossene Sache: Da ich ihm nicht aus dem Weg gehen kann, werde ich cool und überlegen sein und ihm zeigen, was es bedeutet, wenn es NICHTS BEDEUTET! Überhaupt bin ich hier, um eine ganz ausgezeichnete Ärztin zu werden und habe für verletzte Gefühle weder Zeit noch Hirn übrig. Die Aufzugtürenöffnen sich. Du wirst das schon schaffen, Lena! Die Cafeteria kannst du ja trotzdem für diese Woche umgehen. Nur bis dein neuer Gleichmut etwas gefestigt ist.
    Ich trete aus dem Aufzug, entschlossen, alle Nicht-Ärztinnen-Gefühle und -Träume vollkommen abzuschalten. Wie um mir das zu erleichtern, schiebt eben die gemütliche Schwester einen Essenswagen um die Ecke und lächelt mich an: »Kannst du mal helfen, Mäuschen? Ich bin alleine und die Hälfte der Patienten hat noch kein Futter!« Natürlich kann ich. Gemeinsam teilen wir die restlichen Essen aus – was mir eine Extra-Vorstellung beschert, denn Schwester Jana versorgt mich nebenbei im Tratschton mit dem nötigsten Privatwissen über die Patienten. Ich erfahre, dass Frau Schneider mit den Gallensteinen früher Olympiateilnehmerin in der Schwimmstaffel war und der Patient mit dem Leistenbruch dreimal geschieden ist, aber von allen drei Frauen besucht wird – gleichzeitig. Die meisten Patienten begrüßen mich herzlich und scheinen sich über ein neues Gesicht zu freuen. Dass eine Ärztin ihnen das Essen austeilt, finden sie großartig. Zwei schließen gleich ihre ganze Krankengeschichte an. Ich nicke wissend zu den detailliert geschilderten Befindlichkeiten einer Blinddarmpatientin und beruhige einen alten Herrn bezüglich der Narkosemittel – nein, Lachgas ist nicht mehr üblich. Erst als der Essenswagen leer ist, denke ich wieder daran, warum ICH noch nichts gegessen habe. (Gelernt: Gegen das, was dich von der Arbeit ablenkt, hilft andere Arbeit.) Und als ich Schwester Jana gestehe, dass ich selbst noch nichts zu essen hatte, öffnet sie eine Schublade an ihrem Tresen und präsentiert mir eine Süßigkeitenauswahl, die Willy Wonka in seiner Schokoladenfabrik vor Neid erblassen ließe.
    »Zu mir kannst du immer kommen«, lächelt sie. »Und Füttern ist meine leichteste Übung.« Sie rollt den Wagen weg und ich sitze an ihrem Tresen und kaue Nuss-Waffel-Riegel. Der Zucker breitet sich in meinem Magen über die erste Schicht meiner neuen professionellen Haltung, festigt die erste Lage Selbstbewusstsein und lässt die Enttäuschung noch weiter nach unten rutschen.Ich konzentriere mich voll auf die Karriere und verschwende keinen Gedanken mehr an Thalheim! Geschieht ihm nur recht, wenn du hier die stationsbeste PJlerin bist, sagt meine Gedankenstimme. Wenn du strahlst und beeindruckend patent bist. So gut, dass die verkniffene Karrieristin von Oberärztin anerkennend deinen Namen nennt. »Meine begabteste Anfängerin« wird sie sagen. Vor allen. In der Oberarzt-Besprechung! (So was gibt es ja wohl!) Dr. Thiersch wird dich begeistert loben und ER wird ganz wehmütig über die tragisch verpasste Gelegenheit sein. Dass ich nicht in St. Anna bin, um ihn zu beeindrucken und nicht all mein Engagement darauf abzielen sollte, ihn vor Reue leiden zu lassen, habe ich gerade doch wieder spontan vergessen.
    Als meine Freundinnen vom Essen kommen, sind sie voller Besorgnis und Anteilnahme. Während die sanfte Isa eher praktisch gedacht und mir ein Stückchen Apfelkuchen mitgebracht hat, schäumt die temperamentvolle Jenny mal wieder stellvertretend vor verletztem Stolz und schwört resolut, sie werde IHN nie wieder auch nur eines Blickes würdigen. Tatsächlich. Jetzt glauben sie mir. Zwar tut es gut, dass sie so mitfühlen, doch meiner frisch beschlossenen neuen Gefühlskälte ist es dienlicher, wenn wir nicht zu lange über Thalheim reden. Zum Glück erlöst mich der Sonnyboy-Stationsarzt; er lädt uns so strahlend zur Visite ein, als bitte er uns an eine Geburtstagskaffeetafel statt an die Betten frisch operierter oder noch OP-nervöser Patienten. Wir folgen ihm ins erste Zimmer, Jenny natürlich neben Dr.

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