Miss Emergency
sich versammelt hat, grinst er als Erstes Jenny an und sagt: »Eins zu null, meine Liebe! Die Patientin Schwab steht von nun an am besten unter Ihrer Obhut. Denn ich fürchte, wenn ich sie noch einmal anlächle, springt sie mit all ihren Infusionsschläuchen auf und stürzt sich vom Dach.« Immerhin. Er weiß also, dass seine Art nicht für alledas Richtige ist. Und Jenny grinst zurück, sieht ihm in die Augen und entgegnet: »Gerne. Und Sie können ja stattdessen MICH anlächeln!«
Dr. Gode bietet uns Übrigen noch keine Patienten an. Auch wenn er es, wie alles andere, in ein sanftes Lächeln verpackt: Er möchte uns erst kennenlernen. Damit wir alle einen Patienten auf unserer Wellenlänge bekommen. Und keinen umbringen. Jenny ist also die strahlende Ausnahme. Sie lächelt zufrieden und ich, die ich sie nun schon drei Monate kenne, weiß, dass sie ihren Erfolg tief im Inneren nicht ihrem besonderen Draht zu Paula zuschreibt, sondern der Tatsache, dass sie eindeutig die Hübscheste der PJlerinnen ist.
Wenn sie sich da mal nicht täuscht … Doch, die Hübscheste ist sie natürlich. Aber Dr. Gode – auch wenn mir seine Art nicht liegt – scheint doch etwas feinere Auswahlkriterien zu haben. Während er uns den OP-Plan der nächsten Woche erklärt, mustere ich meine Mit-PJler. Zwei von ihnen kenne ich aus dem letzten Tertial: Erik-Nathanael und Bastian, von uns zu »Ernie und Bert« vereinfacht. Die beiden haben schon auf der Inneren mit uns Dienst geschoben, aber den Eindruck vermittelt, sie würden nicht nur nicht mit Frauen, sondern generell nur miteinander reden. Ich glaube, sie wohnen auch zusammen und verbringen ihre Freizeit zwischen Lehrbüchern und der Playstation. Sabrina, das etwas mollige Mädchen, ist bereits im dritten Tertial. Im dritten kann man sich die Station aussuchen und damit einen Grundstein für die spätere Spezialisierung legen. Sabrina also will wohl Chirurgin werden. Sie zeigt gleich mal, dass sie sich hier schon auskennt, indem sie für uns alle Kaffeetassen und Kekse aus dem Schrank kramt. Dr. Gode schenkt Kaffee aus, seine Patientenvorstellung bekommt so schnell den Charakter einer gemütlichen Plauderrunde. Bei Kaffee und Keksen erklärt er, wann welcher Patient »unters Messer« muss und was es dabei für uns Anfänger zu tun geben könnte. Als Erstes stehen die Gallen-OP der Ex-Olympionikin und die Bauchspeicheldrüse an. Ich bin nicht voll konzentriert, denn die angeschlagene Werbetasse vor mir erinnertmich an ein anderes Kaffeetrinken. An einen zerbeulten Thermosbecher, ein karges Büro, einen überladenen Schreibtisch. Dr. Thalheim, der mir seine eigene Nachtschicht-Tasse voll schwarzen Kaffee füllt, mir still gegenübersitzt und erreicht, dass ich mich ernst genommen und geborgen fühle. Der Morgen nach einer Nachtschicht, er war noch müde, das erste Mal ohne seine unantastbare Oberarzt-Contenance, seine Haare zerstrubbelt. Er hat seinen Kaffee mit mir geteilt und ich …
Weg! Raus aus meinen Gedanken!
Der Bilderrahmen auf seinem Schreibtisch … lange bin ich neugierig drum herum geschlichen; erst an meinem letzten Tag auf der Inneren hat sich mir enthüllt, dass der Rahmen kein Foto, sondern einen Wahlspruch einfasst: Und hier ist der Mittelpunkt der Welt. Was soll das eigentlich? Am Freitag kam es mir noch wie der klügste und schönste Leitsatz vor; jetzt frage ich mich, ob Thalheim nicht einfach der Meinung ist, ER SELBST sei der Weltmittelpunkt. Das Zentrum MEINER Welt soll er jedenfalls nicht sein. Kann er jetzt mal endlich aus meinem Kopfkarussell aussteigen und davonwanken in eine nebulöse Vergessenheit?
Tack, tack, tack auf dem Flur, dann wird die Tür aufgerissen, die Thalheim-Seifenblase in meinem Kopf platzt mit einem Knall. Dr. Thiersch steht in der Tür, ein Blick um den Kaffeetisch, ein herablassendes Lächeln: »Soll ich schnell zum Bäcker springen und uns eine Schwarzwälder Kirsch holen?« Ernie, der weder den Umgang mit Frauen noch den mit Ironie gewohnt scheint, ist der Einzige, der erfreut nickt. Alle anderen haben verstanden, dass Dr. Thiersch die Gemütlichmachung von Arbeitsbesprechungen unpassend findet. Dr. Gode scheint zum Glück kein demütiger Untergebener zu sein, er lächelt auch Dr. Thiersch an und entgegnet: »Sollte Gemütlichkeit auf dieser Station eines Tages salonfähig werden, werde ich eigenhändig eine Schwarzwälder Kirschtorte BACKEN!« Aber er stellt die Kekse weg und Sabrina schiebt diensteifrig unsere Tassen
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