Miss Emergency
zusammen.
Dr. Thiersch setzt sich nicht; sie bleibt stehen und mustert ihre neuen Anfänger zum ersten Mal eingehend. Ihr Blick hat etwasDurchdringendes. Erinnert sie sich, dass sie mich heute Morgen gerügt hat? Ihr Blick bleibt an mir hängen. »Na, inzwischen wach?« Okay. Sie erinnert sich. Ich senke die Augen, was soll man da antworten. Könnte sie jetzt bitte dem Nächsten vors Schienbein treten?! »Wer ist Isa?«, inquiriert Dr. Thiersch scharf. Oh, ich nehme den Wunsch zurück – ich hätte lieber noch 15 bis 17 bissige Bemerkungen auf mich genommen, wenn damit verhindert würde, dass die böse Fee über meine zarte Freundin herfällt. Isa zeigt zaghaft auf, Dr. Thiersch nickt. »Ich hörte, Sie sind ein stilles Wasser. Die Kollegen auf der Inneren haben Sie sehr gelobt.« Isa lächelt verschämt. Aha, die taffe Oberärztin hat sich schlaugemacht. Was sie wohl über MICH gehört hat? Und über Jenny, den Autoritätsschreck der Inneren? »Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich in Ihrer ersten OP schlagen«, fährt Dr. Thiersch fort, »und habe Sie deshalb gleich mal für die Galle eingeplant.« Isas Lächeln schläft ein, Herausforderungen und Extrawürste sind absolut nicht ihr Ding. Aber sie nickt natürlich. Ich fange Sabrinas Blick auf: Ist sie beleidigt, weil sie als Erfahrenere damit gerechnet hat, zuerst dranzukommen? Dr. Thiersch nickt ihr zu. »Kein Neid, Frau Schulte, Sie bekommen die Bauchspeicheldrüse.« Sabrina ist beruhigt und Dr. Thiersch hat gezeigt, dass sie doch sensibel für Befindlichkeiten ist – auch wenn sie es sich nicht nehmen lässt, sie als albern darzustellen. Dann geht sie und Dr. Gode grinst Isa an. »Glückwunsch. Eigentlich lässt sie zuerst alle Herren operieren.«
Als wir die Station verlassen, ist Isa zappelig. »Bitte sagt mir, dass ich sie nicht enttäuschen werde!«
Wir sprechen ihr Mut zu. Isa wird sich die verbleibenden 40 Stunden in ihren Lehrbüchern vergraben und jeden Handgriff theoretisch perfekt vorbereiten, das wissen wir ohnehin. »Außerdem steht dir ja Dr. Dandy zur Seite«, grinst Jenny. »Der putzt einen sicher nicht gleich runter, wenn man mal eben ein Skalpell im Patienten vergisst.«
»Sag so was nie wieder!«, ruft Isa entsetzt, doch dann lächelt sie. »Aber das passiert wohl nicht mal mir.«
Meine Freundinnen sind also ganz zufrieden, als wir aus der Klinik in den Feierabend schlendern. Okay, unsere neue Oberärztin ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber Isa und Jenny sind überzeugt, dass der fesche Dr. Gode noch weit größere Unannehmlichkeiten aufwiegen würde. Jenny hat bereits eine Patientin zugewiesen bekommen; noch dazu eine, die sie schon kennt, gerne hat und um die sie sich sowieso bewerben wollte. Und Isa zehrt immer noch von dem Lob aus zweiter Hand, das ihr gezeigt hat, dass ihre schwierige Startphase auf der Inneren allgemein in Vergessenheit geraten ist oder gar durch ihren Fleiß überlagert wurde. Nur ich verlasse das Krankenhaus mit einem flauen Enttäuschungsgefühl. Die verliebten Hoffnungen, mit denen ich heute Morgen herkam, sind mir inzwischen selbst peinlich.
»Was war denn nun eigentlich in der Mittagspause?«, fragt Jenny in diesem Moment. »Hat er versucht, sich zu entschuldigen?« Ich starre sie an. Glaubt sie wirklich, ich bin Thalheim nachgegangen und habe ihn zur Rede gestellt?! »Aber du hast ihm doch wenigstens GEZEIGT, dass er ein Idiot ist und seinen blöden Auftritt noch schrecklich bereuen wird?!«
»Fehlanzeige«, entgegne ich. »Ich bin ihm nicht nachgelaufen, sondern einfach nur weggerannt. Ich hab ihn nicht noch mal gesehen und WILL ihn auch nie wieder sehen.«
Isa blickt mich mitleidsvoll an. »Dann schau nicht da rüber!«
Vor dem Krankenhaus parkt ein blitzender VW. Thalheim trägt trotz des Herbsteinbruchs immer noch die dunkelgrüne Sportjacke, die so gut zu seinen dunklen Haaren passt. Er steht neben seinem Auto und scheint zu warten. Auf mich? Meine Knie geben nach, ich bleibe stehen. Ich kann mich keinen Schritt weiter vorwärtsbewegen. Dr. Thalheim zieht seine Jacke aus und legt sie ins Auto, langsam. Ein Vorwand, um sich noch einen Moment hier aufzuhalten? Er könnte die blöde Jacke auch drinnen ausziehen. Oder gar nicht – bei der Kälte! Vollkommen klar, dass er sich etwas zu tun macht. Noch hat er uns wohl nicht gesehen. Aber wenn er sich umdreht … Was soll ich denn tun?! Ich kann unmöglich an ihm vorbeigehen!
»Wenn wir da sind, lachst du einfach!«, rät Jenny energisch. Klar. Sie
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