Miss Emergency
Gode – und: Irre ich mich oder hat Isa sich eben an der etwas molligen neuen PJ-Kollegin vorbeigedrängelt, um an Dr. Godes anderer Seite zu gehen?!
Eins ist sofort klar: Die Patienten lieben Dr. Gode. Seine sonnige Art führt offenbar keineswegs dazu, dass sie sich und ihre Leiden nicht ernst genommen fühlen; es ist eher, als biete ihnen jemand wenigstens ein Eis an, wenn sie schon hier liegen müssen. Dr. Gode ist ein Softeis mit Streuseln, nach seinen fröhlichen Bemerkungen scheinen sie alle überzeugt, schon auf dem Wege der Besserung oder wenigstens in den allerbesten Händen zu sein.Ich denke insgeheim, dass es mich zu Tode nerven würde, einem Arzt ausgeliefert zu sein, der mich mit »In einer Woche werden Sie wieder Rumba tanzen« aufheitern will. Bin ich heute einfach unaufgeschlossen und nörglerisch? Ich weiß nicht, woran es liegt, aber bei mir funktioniert Dr. Godes Art gar nicht. Ich sehe, dass meine Freundinnen absolut darauf anspringen, auch die anderen PJler wirken verzückt. Ich finde, ein bisschen würdevoller sollte ein Stationsarzt schon sein. Aber natürlich: Ob es den PATIENTEN hilft, sollte das Maß für angemessenes Arztverhalten sein – und nicht die kränkungsgefärbte Empfindlichkeit einer Oberarztkuss-geschädigten PJlerin.
Mehrere Patienten, die ich schon bei der spontanen Essensausgabe kennenlernen durfte, grüßen mich fröhlich … was mir skeptische Blicke der anderen PJler einbringt. Und nach dem zweiten »Ach, bringen Sie noch Nachtisch?« fühlt sich der Stationsarzt genötigt, mir für die Zukunft etwas mehr Zurückhaltung bei den Schwesternaufgaben zu empfehlen. Ich gebe zu, er tut es nicht unangenehm. »Wissen Sie«, lächelt er nur, »es mag ungerecht sein, aber die meisten Leute fürchten, wer zur Essensausgabe eingeteilt wird, könnte keine SO exzellente Chirurgin sein.« Er hat natürlich recht: Wenigstens zwei der Patienten haben meinen Einsatz falsch verstanden und sind nun überrascht, dass »die neue Schwester« mit den Ärzten mitlaufen darf. Trotzdem – dann bin ich eben ungerecht – Dr. Godes fröhliche Art ist mir irgendwie zu viel. Klar. Keine Frage, warum.
Im fünften Zimmer unseres Rundgangs treffen wir auf die erste Person, die ebenfalls nicht auf Dr. Godes allgemeine Sonnenscheinverbreitung steht. Als er die Tür öffnet und freundlich »Wie geht es uns denn?« fragt, dreht sich im Bett ein uns bekannter Kopf mit einem genervten Stöhnen zur Wand.
Tatsächlich, das ist Paula Schwab, mir und meinen Freundinnen noch bestens bekannt aus unserem letzten Tertial. Paula, die auf der Inneren die operationsvorbereitende Chemotherapie überstanden hat, wurde ebenfalls heute in die Chirurgie überstellt. Bei ihr steht nun die Gastrektomie an, in der ihr Magenvollständig entfernt werden soll. Im letzten Tertial ist die mürrische Patientin uns allen ans Herz gewachsen – ganz besonders Jenny, die ihre Betreuung übernommen und sich schnell und überraschend eng mit ihr angefreundet hat. Dr. Gode kennt Paula Schwab offenbar noch nicht und nachdem sie ihm in bekannter Manier gezeigt hat, was sie von fröhlichen Ärzten hält, ist der Stations-Ken perplex.
»Haben Sie Schmerzen«, fragt er etwas vorsichtiger, »oder Angst?« Siehe da, er kann auch sensibel (oder was er dafür hält). Für Paula Schwab ist das nicht der richtige Tonfall, mit ihr redet man am besten sachlich-zynisch oder gar nicht. Und bevor Dr. Gode eine Optimismus-Stufe höher schalten kann, tritt Jenny an Paulas Bett. »Ich hoffe, Ihr drittletztes Mittagessen war weder Sülze noch Gummiadler?«
Paula verzieht das Gesicht. »Eintopf. Aber ich muss ja nur noch zweimal Kantinenfraß überstehen, dann habe ich schlechtes Essen ein für alle Mal hinter mir.«
Dr. Gode ist kurz sprachlos, die Mienen der anderen PJler sind ebenfalls erstarrt. »Fatalismus ist gar nicht nötig, Frau Schwab«, lächelt der schmucke Arzt, »Sie werden auch nach der OP ausgezeichnet essen. Man kann selbst einen Seeteufel pürieren.« Ich weiß nicht, ob sein Optimismus echt so unerschütterlich ist oder ob das sein Versuch ist, sich auf Paulas grob-zynische Ebene einzulassen. Bei ihr blitzt er jedenfalls ab.
»Gott sei Dank, dass du da bist!«, sagt sie zu Jenny, kein bisschen leise. »Ich finde, es reicht, dass man seinen Magen hierlassen soll. Man muss nicht auch noch seine Würde hinterherschmeißen, oder?«
Bei der Nach-Visite-Besprechung bitte ich Dr. Gode einiges ab, denn als er uns alle im Arztraum um
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