Miss Emergency
ansteht.
»Eine Schwester bitte!«, rufe ich in den Flur. »OP-Kleidung. Und ein Zimmer vorbereiten!« Für eine Millisekunde leuchtet ein Bild in meinem Kopf auf – ich bin vielleicht sieben und brülle über den elterlichen Wohnungsflur: »Schnell, ein Notarzt zu mir, wir müssen amputatieren!« Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie es sein würde, wirklich hier zu stehen, aber ganz ganz kurz sehe ich mich wie aus der Vogelperspektive hier auf dem Krankenhausflur und schicke einen Gruß durch die Zeit an das kleine Mädchen.
Zurück ins Zimmer, ein Blick in die Akte: Anna Zietler, 26. »Wie geht es Ihnen, Frau Zietler?«, frage ich und nehme ihre Hand. Sie keucht, die Bauchschmerzen müssen furchtbar sein. »Keine Angst«, sage ich so ruhig ich kann. »Eine Blinddarm-OP ist so ziemlich die häufigste Not-OP, die Chirurgen können das im Schlaf.«
Dass ICH so was noch nie gemacht habe, erwähne ich natürlich nicht. Blitzschnell rattert es in meinem Kopf. Offene Appendektomie,was kann da schiefgehen? Wundheilungsstörung, postoperativer Ileus, Verletzung von anderen Darmabschnitten, Gefäßen oder Nerven. Jetzt bin ich doch dankbar, dass ich nur assistieren darf. Wäre das was für mich – Chirurgin? Jedesmal das Risiko, dass man durch eine minimale Unsicherheit oder ein winziges Versehen jemanden lebensgefährlich verletzt, statt ihn zu retten? Im OP zu stehen und zu wissen, jetzt kommt es darauf an, dass deine Hand nicht um einen Mikrometer verzittert? Die Patientin drückt meine Hand fest, ich merke, wie stark ihre Schmerzen sind.
»Haben Sie alles verstanden?«, frage ich. »Soll ich irgendwas noch mal erklären?« Sie schüttelt den Kopf. Ich erwidere den Druck ihrer Hand. Wir werden es schaffen.
Die Anästhesistin steckt den Kopf zur Tür herein. »Ist sie ansprechbar?« Sie wedelt mit ihrem Fragebogen. Ich verneine. »Irgendwo dort draußen wartet ihr Mann. Es wäre besser, wenn Sie so viel wie möglich mit ihm abklären.« Das klang souverän. Die Anästhesistin nickt. »Bis gleich!« Sie hat auch nicht gespürt, dass ich zum ersten Mal Anweisungen erteile. Eine Schwester bringt die OP-Kleidung, sie hilft mir, Frau Zietler umzuziehen und auf eine Trage zu betten. Dann übernimmt sie die persönlichen Sachen der Patientin und geht, um ein Zimmer vorzubereiten. Frau Zietler wird von einem Pfleger zur Patientenschleuse in den OP-Bereich gefahren und ich eile in die Umkleide.
Im Einleitungsraum der Anästhesie treffe ich die Patientin wieder. Die Anästhesistin hat bereits mit Frau Zietlers Mann den größten Teil ihres Bogens ausgefüllt und nur noch wenige Fragen. Anna Zietler antwortet, so gut sie kann, und verzieht immer noch schmerzhaft ihr Gesicht. Ich nehme ihre Hand. Die Anästhesiepflege schließt die Patientin an das Narkoseüberwachungssystem an und legt einen Venenkatheter an der Hand. Die Anästhesistin hält Frau Zietler eine Sauerstoffmaske vor das Gesicht. Dann werden die Medikamente zum Einschlafen verabreicht und endlich wird der Druck an meiner Hand weniger. Nur eine halbe Minute, dann liegt die Hand schlaff auf der Decke.
»Wenn ich intubiere, müssen Sie aber rausgehen«, sagt die Anästhesistin. »Schließlich werden Sie auch schon sehnsüchtig im Waschraum erwartet.« Ich nicke und will den Raum verlassen, ich sollte mich wirklich schleunigst waschen. »Ich heiße übrigens Miriam, wir sind uns noch gar nicht vorgestellt worden«, lächelt die Narkoseärztin. Ich sage meinen Namen und erwähne endlich auch, dass ich PJlerin bin. »Ach«, lacht Miriam, »ich habe mich schon gewundert, dass Sie hier so lange Händchen halten.« Wer mich kennt, weiß, dass ich mir prompt vornehme – falls es mich in die Chirurgie verschlägt – auch in zwanzig Jahren noch jeden Patienten Händchen haltend in den OP zu begleiten.
Nebenan sind schon alle bereit, der Chirurg, der sich neben mir die Hände wäscht, grinst mich an. »Erster Einsatz?« Ich nicke. »Irgendwas, was Sie gern ausprobieren würden?« Ich starre ihn an. Er lacht wieder. »Schneiden dürfen Sie nicht, aber halten und tupfen, okay? Und wenn Sie sich gut anstellen, zunähen.« Ich nicke, mehr bringe ich nicht fertig.
Nach dem Waschen folge ich dem Chirurgen in den OP-Saal. Die Schwester steht schon fertig im grünen Kittel am OP-Tisch. Auch ihr Auftritt entspricht irgendwie nicht meiner Vorstellung von der Ernsthaftigkeit der Situation. »Und ich hab noch nicht mal Mittag gegessen«, seufzt sie, als sie mir in den
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