Miss Emergency
grinsenden Papier-Lena.
Meine Freundinnen umarmen mich fröhlich, mein Aussetzer hat sich schon rumgesprochen. »Willkommen im Club«, grinst Jenny. »Das feiern wir heute Abend!« Immer schön, eine Freundin zu haben, die auch der mieseste Reinfall zu einer Party inspiriert. Schade, dass ich mich nicht mal eine Sekunde zur Nachlesezurückziehen kann. Schon schreit die Arbeit; Frau Schneider und Herr Kohler warten auf ihren Arztbrief und die Zukunft von Frau Jahn ist auch noch nicht endgültig besprochen. Also erst eine halbe Stunde Schreibarbeit und dann schnellstens zur Visite rennen! Wie schaffen eigentlich Leute ohne Glückskuli diesen ausufernden Papierkram?
Dr. Gode hat recht, Frau Jahn will von einer Kur nichts hören. »Das wäre schön«, sagt sie leise. »Aber es würde bedeuten, dass ich meine Firma den Bach runtergehen lasse. Und das tue ich für nichts in der Welt.«
Ich hasse es, dass ich sie nicht überzeugen kann. Aber ich habe heute keine Kraft mehr, zu diskutieren.
Am Abend hoffe ich nichts mehr, als dass ER auf mich wartet. Doch sein Wagen steht noch abgeschlossen am Parkplatzrand. Meine Freundinnen haben es eilig. »Vergiss nur nicht unsere Ohnmachtsparty!«, ruft Jenny mir zu. Ich gehe langsam. Immer langsamer. Endlich höre ich Schritte hinter mir. Nein, das sind zu viele. Ich höre Tobias’ Stimme, mit wem redet er? Als ich mich umdrehe, läuft Dr. Gode neben Tobias, ausgerechnet.
»Sie sind ja noch da!«, ruft der fröhliche Stationsarzt in meine Richtung. »Soll ich Sie mitnehmen?«
Nein, du sollst gehen! Ich weiß, du willst nett sein, aber du verdirbst mir gerade den Abend, auf den ich mich den ganzen Tag gefreut habe. Ich lehne höflich ab und schleiche weiter, so langsam ich kann. Dr. Gode bringt Tobias zum Auto. Mann, will er ihn auch noch anschnallen? Er wünscht einen schönen Abend und knallt Tobias’ Wagentür zu. Dann spaziert er zu seinem eigenen Auto. Kann ein Mensch noch langsamer laufen? Mein Blick wandert zwischen ihm und dem grünen Wagen hin und her. Tobias sollte jetzt abfahren. Er muss ja. Und als Dr. Gode ihm noch einmal winkt, tut er es auch. Dr. Gode schließt sein Auto auf. »Wollen Sie wirklich nicht mit?« Nein danke, du Blödmann. Ich schüttle den Kopf. Es dauert noch eine gefühlte Ewigkeit, bis auch Godes Auto vom Parkplatz kurvt. Und was mache ich jetzt?
Ich schleiche in Richtung S-Bahn, unendlich enttäuscht. Wiederein Abend ohne ihn – und das nach dem schrecklich langen Wochenende. Ich versinke in tiefstes Selbstmitleid … so tief, dass ich den grünen Wagen, der mich überholt, fast übersehe. Tobias bremst am Straßenrand und öffnet die Beifahrertür. Mein Herz macht einen Satz, ich springe ins Auto.
»Ich konnte ihn einfach nicht loswerden«, sagt er.
»Macht nichts«, entgegne ich. »Hauptsache, du bist jetzt da!«
Er gibt Gas, ich lehne mich zurück, überglücklich, dass ich den schon abgeschriebenen Abend nun doch noch geschenkt bekomme. Und jetzt? Wohin? Werden wir endlich mal wieder eine halbe Stunde für uns haben? Gerade als ich mir ausmale, wie ein perfekter gemeinsamer Abend aussehen könnte, sieht er mich an. »Es ist idiotisch, Lena«, sagt er. »Wir müssen damit aufhören. Es ist nicht gut für dich. Unsere Arbeit leidet darunter. Ich habe das ganze Wochenende nur an dich gedacht.«
In einem anderen Universum hätte das ein zauberhaftes Kompliment sein können, hier und jetzt hat es etwas Verzweifeltes. Und irgendwie macht es mich wütend. »Dann lass mich hier aussteigen und ich sprech dich nie wieder an!« Wer hat das gesagt? Ich? Spinnst du, Lena?!
»Wenn ich das könnte, würde ich es tun!«, sagt er und klingt fast wütend. Und dann gibt er Gas. Was ist denn jetzt? Wenn du mich loswerden möchtest, musst du schon anhalten. Nein, du WILLST doch nicht aussteigen, Lena! Du willst, dass er dieses entschlossene Gesicht macht und aufgebracht und zu schnell die Kurven nimmt.
Wir fahren durch die Stadt, allmählich scheint Tobias sich zu beruhigen. Irgendwann sieht er mich wieder an. »Entschuldige. Ich hasse einfach diese Heimlichkeiten!« Ich nicke. Was soll ich sagen? Dass ich sie herrlich finde, weil ich endlich mal zeigen kann, was ich in der Spionageschule gelernt habe?
Eine Minute später bremst er vor einer kleinen Steintreppe. Wortlos steigt er aus, öffnet meine Tür.
»Was machen wir denn jetzt?«, frage ich verwirrt.
Er nimmt meine Hand. »Jetzt lassen wir uns das alles egal sein.«
Am Ende der steilen Treppe
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