Miss Emergency
hübschesten PJlerinnen des Jahrgangs auf seiner Station versammelt habe. Jenny kokettiert ein wenig mit ihrer neuen Berühmtheit, selbst Felix hat die Zeitung gekauft. (Nur gut, dass Björn nicht mit auf dem Bild ist.) Mir wird es aber langsam peinlich, als mich Herr Kohler bei seiner Entlassung um ein Autogramm bittet.
Dass Felix der Chirurgie einen Besuch abstattet, um Jenny zu gratulieren, bleibt übrigens nicht unbemerkt. Als er verschwunden ist, fragt Schwester Jana neugierig: »Wie läuft es denn?«
Doch damit ist sie bei Jenny an der falschen Adresse. »Das geht ja wohl keinen was an«, entgegnet meine Freundin – zwar grinst sie, aber wer sie kennt, weiß, dass sie von solchen Vertraulichkeiten nichts hält.
»Denk nur dran, Mäuschen«, mahnt Jana besorgt, »du bist im Dienst!« Jenny lacht. Sie hat heute absolutes Oberwasser.
Die Arbeit geht mir so flott von der Hand, wie es für eine Lokalberühmtheit angemessen ist. Ich darf die gute Frau Schneider nach einer letzten Kontrolluntersuchung entlassen. (Und ich stelle mir nur ganz kurz vor, wie sie gleich zu Hause einen formvollendeten Kopfsprung in ein Schwimmbassin voll duftendem Kaffee macht.) Auch Frau Jahn scheint meine Warnungen ernst genommen zu haben und wirkt stabiler. Ich gebe außer der Thrombosespritze nur noch ein leichtes Schmerzmittel. Heute Nachmittag wird ein Physiotherapeut Frau Jahn besuchen und ihr den Umgang mit den Gehstützen zeigen.
»Wann darf ich raus?«, fragt sie und wirft einen besorgten Blick zu dem Schrank, in dem ich ihr Arbeitsmaterial eingeschlossen habe. Ich wünschte, sie könnte mal eine wache Stunde an etwas anderes denken als an ihre desolate Firma. Aber ich kann sie doch nicht permanent sedieren! »Morgen oder übermorgen«, antworte ich vage. »Aber Sie müssen sich weiter schonen!« Sie nickt schnell, als wolle sie mich loswerden. Mach dir nichts vor, Lena, diese Frau wird sich nicht eine einzige Minute ausruhen, sobald sie deinen Einflussbereich verlassen hat!
»Ich habe es immerhin nur mit dem Knie, mein Kopf ist vollkommen in Ordnung!«, beteuert Frau Jahn. »Und ich MUSS mich ums Geschäft kümmern! Ich muss hier raus, solange ich noch irgendwas retten kann!«
Ich WEISS! Aber ich versuche doch, DICH zu retten! Auch seelischer Druck kann die Rehabilitation gefährden und Frau Jahn macht jetzt schon einen so angespannten Eindruck! Darf ich sie entlassen, wenn ich weiß, dass sie sofort zum Schreibtisch humpeln und sich mit der Firmenrettung die Nächte um die Ohren schlagen wird?
Von heilungsgefährdendem Stress will Frau Jahn nichts hören. Stattdessen wird sie energisch. »Wenn Sie mich nicht gehen lassen, entlasse ich mich selbst, sobald ich wieder zwei Schritte laufen kann.«
Keine Sorge, ich lasse dich gehen. Keine Krankenkasse der Welt zahlt unnütze Kliniktage. Aber es tut mir nicht gut, zu wissen, dass ich sie in einen Alltag entlassen muss, vor dem ich sie eigentlich nur schützen möchte.
Vor der Mittagspause suche ich das Gespräch mit Dr. Gode. Ich berichte von Frau Jahns Arbeitssituation und den Sorgen, die ich mir um ihre Genesung mache. Dr. Gode gibt mir recht – eine Ausheilung unter geistigem Vollstress kann schwierig werden; eine Patientin, die nur in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sein wird, kann ich aber nicht unnötig hierbehalten. Ich schlage vor, dass wir für Frau Jahn eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme empfehlen. Sie könnte einen Monat zur Kur fahren und sich in Ruhe auskurieren.
Dr. Gode schüttelt den Kopf. »Und dann kommt sie nach vier Wochen zurück und ihr Geschäft ist ruiniert?« Ich weiß nichts zu entgegnen. Kann eine Firma wirklich so wichtig sein? »Frau Jahn ist ein erwachsener, voll zurechnungsfähiger Mensch. Sie können nicht über sie bestimmen, Frau Weissenbach. Sie müssen hinnehmen, was die Patientin entscheidet.« Das stimmt natürlich. Trotzdem. Dr. Gode wirkt gelassen. »Was ist das Schlimmste, was passieren kann?«
Ich schnappe nach Luft: »Dass der Heilungsprozess viel länger dauert? Dass sich die Wunde entzündet? Dass sie nie wieder richtig laufen kann, wenn sie die Reha nicht in Ruhe durchführt?« Was soll ich denn NOCH sagen?!
Dr. Gode bleibt ruhig. »Und was ist das Schlimmste, was geschehen kann, wenn sie noch vier Wochen nicht in ihre Firma zurückkehrt?«
Ich weiß. Frau Jahn glaubt, ihr droht der Ruin. Dr. Gode nickt. »Nun raten Sie mal, wie sich die Patientin entscheiden wird.« Ich hasse es, dass er recht hat.
Erst auf
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