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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rothe-Liermann Antonia
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möglich zu tun und übernehme ein paar Extraaufgaben. Lieber dem Hirn nicht allzu viel Auslauf lassen! Als Professor Dehmel das Belastungs-EKG und den Lungenfunktionstest überstanden hat und ich sogar noch einige Minuten mit Frau Zietlers Mann verbracht habe, um ihn über die Entlassungsaussichten seiner Frau aufzuklären,ist es immer noch nicht sieben. Schwester Jana fragt, warum ich nicht nach Hause gehe. Jenny muss sicher eine Weile nacharbeiten und Isas OP dauert wohl auch noch. »Geh doch schon mal vor, Mäuschen, und ruh dich aus«, sagt sie mütterlich. »Oder worauf wartest du?« Irgendwie traue ich ihr nicht mehr. Ich wünsche einen schönen Feierabend und verlasse die Station.
    Im Treppenhaus lehnt ein großer blonder Junge an der Wand. Felix. »Na endlich«, seufzt er, »ich warte seit einer halben Stunde!« Leider muss ich ihm die Hoffnung nehmen, Jenny kommt frühestens in einer Stunde – und ist vielleicht nicht allzu begeistert, wenn er hier herumlungert. Felix lacht. »Nach Dienstschluss kann es doch allen schnurzegal sein, ob wir uns treffen! Ich finde eher, wir sollten jetzt gerade oft hier rumknutschen!« Ich muss lachen, eigentlich entspricht das wohl auch Jennys Haltung. »Ist es nicht entsetzlich ungerecht?!«, empört sich Felix. »Als wäre Jenny pflichtvergessen! Dabei sitzt sie jeden zweiten Abend daheim und lernt!«
    Ups. Fast wäre mir ein ungläubiges »Wer sagt das denn?« entschlüpft, ich kann mich gerade noch bremsen. Denn natürlich sagt das Jenny. Und der Laborassistent sollte nicht erfahren, dass sie jeden zweiten Abend genauso ungehemmt ausgeht – nur mit Björn statt mit ihm. Bevor ich einen blöden Fehler mache, lasse ich ihn stehen. Aber es ist immer noch erst zwanzig vor sieben und draußen liegt Schnee. Ein Feierabendkaffee bei Ruben könnte die Zeit wie im Fluge vergehen lassen – und vielleicht finde ich dann auch raus, was er mir beim Mittagessen nicht verraten hat?
    Auf dem Weg zur Cafeteria komme ich am Durchgang zur ITS vorbei. Schade um den Feierabendkaffee.
    In Paulas Zimmer ist es still, aber sie ist wach. Ich setze mich zu ihr. Noch auf dem Gang waren alle Worte da, entschlossene Worte, absolut deutliche. Doch dieser schmalen Frau kann ich sie nicht entgegenschleudern, so verletzlich wirkt sie hier, so dünnhäutig.
    »Jenny macht sich Vorwürfe«, beginne ich endlich.
    Paula sieht mich an. »Ich hatte solche Angst … Jenny hat es geschafft …« Das Sprechen fällt ihr schrecklich schwer. Ich weiß, was sie sagen will. An Jennys Seite fühlt man sich irgendwie unbesiegbar. »Im Stich gelassen …«, sagt Paula. Und jetzt kommen doch all die zurechtgelegten Worte zurück.
    »Jenny hat Sie gern«, sage ich laut, »ihr war nichts wichtiger, als bei Ihnen zu sein, für Sie da zu sein. Sie kann nichts dafür, dass sie von Ihrer OP abgezogen wurde! Hätte sie gewusst, dass das passieren kann …« Ich bin fast versucht, noch einmal Isas Bild von der Nonnenwerdung zu bemühen. »Es ist absolut nicht gerecht, dass Sie sie jetzt auch noch bestrafen. Als wäre es nicht Strafe genug, dass sie Ihnen nicht beistehen durfte. Und ich schwöre, sie war jeden Moment für Sie da, hat hier auf Sie gewartet. Anteilnehmender und mitfühlender hätte sie im OP auch nicht sein können.« Paula nickt endlich. »Wenn sie nachher zu Ihnen kommt, reden Sie mit ihr!«, verlange ich. »Sie ist nämlich die beste Freundin, die man haben kann.«
    Irre ich mich oder lächelt Paula ein bisschen? Sie hebt die Hand einen Zentimeter und deutet auf das Schlauchgewirr. »Reden ist noch schlecht«, haucht sie.
    Ich muss grinsen, schüttle den Kopf. »Für eine Entschuldigung wird es schon reichen.«
    Eine Schwester steckt den Kopf zur Tür herein und sieht mich missbilligend an. »Sagen Sie mal, geht’s Ihnen noch gut?!«, meckert sie mich an. »Zicken Sie hier meine Patienten an? Die Frau muss sich schonen!« Ich sehe sie erschrocken an. Doch Paula hebt die Hand noch einen Zentimeter in Richtung Schwester und sagt: »Halten Sie doch die Klappe!« Die Schwester schließt empört die Tür, wahrscheinlich geht sie einen Arzt holen. Ich lächle Paula an. »Glückwunsch«, sage ich leise, aber ich muss lachen. »Der erste vollständige Satz – und gleich eine volle Breitseite! Sie sind garantiert schnell wieder ganz die Alte.« Paula sieht sehr zufrieden aus. Und ich verkrümele mich schnell, eh der Arzt kommt und mich völlig zu Recht runterputzt.
    Inzwischen ist es schon fünf nach sieben,

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