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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rothe-Liermann Antonia
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Spaziergang bekommen wird.
    Als ich auf den Gang zurückkomme, eilt Jenny an mir vorbei. »Jetzt«, sagt sie hektisch, »drück mir die Daumen!« Vorne am Tresen steht unsere Eisprinzessin; sie wartet mit hochgezogenen Augenbrauen auf Jenny – aber sie wartet. »Erst sehe ich nach der Patientin, dabei kann ich Sie nicht brauchen«, sagt sie barsch, »aber danach dürfen Sie sie fünf Minuten besuchen.« Jenny nickt eilig, folgsam. Dr. Thiersch stiefelt los. »Ach …«, sie hält noch einmal inne und deutet auf mich, »Sie haben doch nichts zu tun, oder? Sie können schnell eine Aufnahme machen.« In der nächsten Sekunde ist sie verschwunden – vielleicht ganz gut, damit hat sie uns beiden eine patzige Antwort erspart. Ich eile in den Aufnahmebereich.
    Ein freundlicher alter Herr begrüßt mich äußerst höflich; er steht auf und stellt sich vor. Seine formvollendeten Manieren kosten ihn Anstrengung, als er sich wieder setzt, atmet er schwer. Professor Dehmel ist 64 und hat eine Koronare Herzkrankheit. Den Professor entnehme ich übrigens nur der Akte, seinen Titel hat er bei der Vorstellung bescheiden weggelassen. Ich überprüfe seine Papiere. Ein wichtiges Herzkranzgefäß ist irreversibel verengt, Professor Dehmel steht eine Bypass-Operation bevor. Die stationäre Vorbereitung wird etwa vier Tage dauern, ich erkläredem Professor, welche Voruntersuchungen noch durchgeführt werden müssen, Herzkatheter, Belastungs-EKG, Ultraschall der hirnversorgenden Arterien, Lungenfunktionstest, Thorax-Röntgen. Er nickt zu allem, wirkt sehr beherrscht. Aber ich merke, dass seine Hände zittern, als er mir die Unterlagen seines Hausarztes überreicht. Und es wirkt, als höre er mir bei der Aufklärung über die OP-Nachsorge gar nicht richtig zu.
    »Haben Sie Angst?«, frage ich schließlich. »Kann ich noch irgendetwas für Sie tun?«
    Er lächelt. »Ich habe nur gerade darüber nachgedacht, wie jung Sie sind …«, sagt er leise.
    Natürlich. Er fühlt sich nicht ernst genommen. Glaubt er wirklich, dass dieses Krankenhaus eine blutige Anfängerin allein eine Bypass-OP vornehmen lässt?! Ich hole aus, um ihm zu erklären, dass ich hier außer der Anamnese gar nichts allein durchführe und dass die Chirurgen, die ihn operieren werden, zusammen sicherlich über 150 Jahre alt sind. Ich schwöre, es klingt nicht beleidigt, ich kann seine Sorge ja verstehen. Doch er schüttelt den Kopf, berührt meinen Arm – und ich verstumme unter seinem traurigen Blick.
    »Das ist es nicht«, sagt er. »Ich dachte nur eben daran, wie hoch wohl die Wahrscheinlichkeit ist, dass Sie die letzte junge Frau sind, die ich kennenlerne …«
    Ich starre ihn an, sprachlos. Verdammt! Warum muss das Leben so gemein sein?! Ich versuche ein zuversichtliches Lächeln. »Ich bin sicher, Sie kommen wieder auf die Beine«, sage ich, so beruhigend ich kann. Er nickt, nicht ganz überzeugt. »Und falls es Sie tröstet: Sie werden allein bei der OP-Vorbereitung noch mindestens zehn junge Damen kennenlernen.« Zu flapsig, Lena, was machst du, wenn er jetzt anfängt zu weinen?
    Aber stattdessen erwidert er endlich mein bemühtes Lächeln. »Dann sollte ich mir ein neues Telefonbuch zulegen«, antwortet er. »Nur damit ich es meinem Testament beilegen kann. Meine Exgattinnen sollen doch nicht NUR Vergnügen haben auf meiner Nachlasseröffnung.«
    »Legen Sie ein paar Fotos bei«, sage ich albern, »damit niemand auf die Idee kommt, Sie hätten die Namen erfunden.« Und plötzlich grinsen wir uns an und haben die schreckliche Wahrheit irgendwie ausgetrickst. »Sie machen das schon«, sagt er leise. Und ich nicke. »Sie schaffen das schon.«
    Ich lasse ein Zimmer für Professor Dehmel richten und trage seine Akte zu Dr. Gode. Als er fragt, wie die Aufnahme gelaufen ist, erzähle ich ihm von dem seltsamen Gespräch. Ist es okay, mit einem Patienten, dessen Überlebenswahrscheinlichkeit so beschränkt ist, über die Aussichten für Frauenbekanntschaften herumzuflachsen? Dr. Gode grinst. »WIE Sie dem Patienten die Angst nehmen, ist doch Ihnen überlassen, Frau Weissenbach. Ich glaube, Sie haben es sehr gut gemacht!« Er überlegt. »Werden Sie sich um die Betreuung des Professors bewerben? Vielleicht passen Sie gut zusammen?« Ich gebe zu, dass ich darauf gehofft habe. Dr. Gode nickt. »Ich wäre ja dumm, Sie nicht einzuteilen.« Damit ist die Sache für ihn abgeschlossen. Professor Dehmel ist mein Patient.
    Zur Mittagspause überkommt mich die typische neue

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