Miss Lily verliert ihr Herz
zwischen unseren Familien entdeckt haben. Aber anderen scheint das weniger zu gefallen. Ihre Tante beispielsweise mag mich gar nicht.“
„Das stimmt. Doch Tante Lucinda findet an jedem, der keinen Titel hat, etwas auszusetzen, sogar an ihrem Gatten.“
„Nun, das macht mir den Gentleman fast ein wenig sympathisch.“
„Um Himmels willen! Der Mann jagt mir kalte Schauer über den Rücken. Ich wünschte, er würde nicht zur Familie gehören.“
„Hm …“ Lily runzelte die Stirn und gestand dann: „Mir geht es ähnlich. Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich ihn sehe.“
„Denken Sie einfach nicht an ihn! Und machen Sie sich auch wegen Tante Lucinda keine Sorgen. Sie war einigermaßen beruhigt, als ich ihr erzählte, dass Ihre Familie wohlhabend ist und Landbesitz in Dorset hat.“
„Minerva, Sie sind wirklich unverbesserlich!“
„Mag sein!“ Sie lächelte. „Das Leben ist viel lustiger, wenn man sich ab und zu unverbesserlich zeigt. Sie haben übrigens auch ein Talent dazu. Das macht Sie ja so sympathisch. Und interessante Dinge haben Sie auch immer zu berichten. Verraten Sie mir, an wen Sie eben gedacht haben? Bestimmt nicht an Ihren Verwalter. Und hoffentlich nicht an Mr. Brookins, der so hingerissen von Ihrem Klavierspiel war.“
„Um Himmels willen, nein!“ Sie beschloss, ehrlich zu sein. „Ich habe versucht, mir einen Reim auf Mr. Aldens seltsames Benehmen zu machen.“
„Oh …“ Minervas fröhliches Gesicht nahm einen leicht besorgten Ausdruck an. „Sie geben sich Tagträumen über Jack Alden hin?“
„Keineswegs!“ Lily schüttelte entschieden den Kopf. „Ich glaube, er mag mich nicht. Und ich möchte lediglich gern wissen, warum das so ist.“
„Tatsächlich? Ist Ihnen eigentlich schon aufgefallen, dass ich über eine recht gute Beobachtungsgabe verfüge?“
Lily runzelte die Stirn.
„Und am vergangenen Abend ist mir etwas ganz Erstaunliches aufgefallen.“
„Dass es war, als ginge ein Wind durchs Zimmer?“
Minerva schaute verständnislos drein. „Ich fürchte, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“
„Schon gut. Lassen Sie mich noch einmal raten. Ihnen ist aufgefallen, wie viele kleine Leckereien der Bischof innerhalb kürzester Zeit vertilgt hat.“
„Das stimmt. Ich war ein wenig schockiert darüber und denke, dass er sich vermutlich den Magen verdorben hat. Aber das habe ich nicht gemeint. Also“, sie hob den Zeigefinger, „ich habe bemerkt, wie aufmerksam Mr. Alden Sie die ganze Zeit über beobachtet hat.“
„Wahrscheinlich war er verärgert, weil er in einem Streit mit mir den Kürzeren gezogen hat.“
„Haben Sie wirklich bei einer Auseinandersetzung gegen ihn gewonnen? Das muss eine neue Erfahrung für ihn sein. Kein Wunder, dass er so verwirrt dreingeschaut hat.“
„Ach?“
„Ja, er hat Sie angesehen, als wüsste er nicht recht, ob er Ihnen den Kopf abreißen oder Sie in die Arme schließen solle.“
„Unsinn! Er würde mich niemals in die Arme schließen.“ Sie trat zum Fenster und starrte hinaus.
„Liebe Freundin“, meinte Minerva in drängendem Ton, „Sie wissen, dass ich nur Ihr Bestes im Sinn habe, nicht wahr?“
Lily unterdrückte einen Seufzer. Wie oft hatte sie diese Beteuerung in ihrem Leben schon gehört! Meistens natürlich aus dem Mund ihrer Mutter. Himmel, sie wünschte, man würde sie endlich allein entscheiden lassen, was gut für sie war!
„Jack Alden ist ein gut aussehender Gentleman“, fuhr Miss Dawson fort, „mit einer gewissen Ausstrahlung – obwohl er meist ein wenig unordentlich wirkt.“
„Ja … Sind Sie auch immer versucht, sein Krawattentuch zurechtzurücken oder eine Falte aus seinem Gehrock zu streichen?“
„Nein. Aber dass Sie dieses Bedürfnis haben, spricht für sich.“ Ein mitfühlendes Lächeln breitete sich auf Minervas Gesicht aus. „Seien Sie vorsichtig, Lily. Manche Männer mögen es, wenn man sich an ihrem Krawattentuch zu schaffen macht. Andere hingegen reagieren sehr empfindlich darauf.“
„Es ist sehr lieb, dass Sie sich Sorgen um mich machen.“ Sie starrte noch immer aus dem Fenster. „Er versteckt sich vor der Welt.“
„Ja“, sagte Minerva einfach.
Lily fuhr herum. „Sie glauben das auch?“
„Allerdings. Für jemanden, der selbst Ähnliches durchgemacht hat, ist es unübersehbar. Ich hoffe nur, es wird ihm gelingen, seine Dämonen zu bezwingen.“
„Würden Sie mich für verrückt halten, wenn ich Ihnen gestehe, dass ich das Gefühl habe, ihm dabei helfen zu
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