Miss Lily verliert ihr Herz
Sie hatte gesehen, wie die Mauer, die er zu seinem eigenen Schutz errichtet hatte, zusammenstürzte. Seine Augen verrieten ihn, ebenso wie sein rascher Atem und sein heftig pochendes Herz. Er begehrte sie. Und mehr …
Sie spürte, wie er die Hände in ihrem Haar vergrub, fühlte seine Lippen auf ihrem Mund – und schlang die Arme um seinen Nacken.
Eine Stimme in ihrem Inneren warnte sie davor, sich unmoralisch zu benehmen. Hüte dich vor der Sünde, rief sie. Doch Lily achtete gar nicht darauf. Stattdessen konzentrierte sie sich auf ihre eigenen Gefühle. So lange hatte sie ihr eigentliches Wesen unterdrückt. Doch an jenem Tag, da sie beinahe von Pettigrews Pferden überrannt worden wäre, hatte sie sich geschworen, wieder zu sich selbst zu finden. Sie wollte auf ihr Herz hören.
Und das sagte ihr, dass sie das Richtige tat. Freude breitete sich in ihr aus. Wie gut es tat, Jack so nah zu sein! O Himmel, sie war glücklich. Auch wenn da diese unbekannte und irgendwie beunruhigende Wärme in ihrem Unterleib war. Diese wunderbare Wärme …
Sie stöhnte auf. Und plötzlich war Jacks Zunge in ihrem Mund. Hell loderte das Verlangen in ihr auf. Ihre Finger gruben sich in seine Schulter, und wie von selbst begann auch ihre eigene Zunge ein wildes Spiel.
Es war ein langer, leidenschaftlicher Kuss. Doch nach einer Weile gab Jack ihren Mund frei und barg den Kopf an ihrem Hals. Tief atmete er ihren süßen weiblichen Duft ein. Dann kostete er mit den Lippen ihre samtene Haut und begann, ihre Schulter, ihren Oberkörper bis hinunter zum Ausschnitt des Kleides mit kleinen Küssen zu bedecken. Er knabberte an ihrem Ohrläppchen, während seine Hände ihren Rücken hinabwanderten. Fest zog er Lily an sich. So fest, dass sie deutlich spüren konnte, wie erregt er war.
Dann verharrte er plötzlich regungslos.
Vielleicht hätte Lily klar sein sollen, dass Ehrlichkeit ein zerbrechliches Gut ist. Und dass Jack sich schon bald hinter seine schützenden Mauern zurückwünschen würde.
Jedenfalls trat er plötzlich einen Schritt zurück und starrte sie mit einem Ausdruck an, der an Verzweiflung gemahnte.
„O bitte, Jack“, flüsterte sie.
Doch zu spät. „Das kann nicht sein“, murmelte er. „Das war ich nicht. Ich …“
„Aber …“
Er ließ sie nicht zu Wort kommen. „Es tut mir leid“, stieß er hervor, „ich kann Ihnen nicht geben, was Sie sich wünschen.“ Damit wandte er sich ab und floh mit großen Schritten zum Haus.
7. KAPITEL
Jack wusste, dass er es nicht ertragen würde zu bleiben, bis auch die anderen Gäste Chester House verließen. Also schlug er einem Bekannten vor, die Transportmittel zu tauschen. Er würde dem Gentleman seinen eigenen Platz im Landauer überlassen, wenn dieser ihm sein Reitpferd lieh. Wenig später war er auf dem Weg nach London.
Wie sehr sehnte er sich nach der Ruhe seines Junggesellenquartiers! Dort würde er über alles nachdenken. Vielleicht fand er sogar heraus, warum es ihm so unmöglich war, in Miss Beechams Gegenwart die Gelassenheit zu wahren, für die er einst bekannt gewesen war.
Er stieß einen Fluch aus. Die junge Dame war verführerisch! Dennoch hätte es ihm gelingen müssen, das Gespräch mit ihr geschickter zu führen. Bei Jupiter, er hatte alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte. Und nun war er nicht einmal in der Lage, sich auf das zu konzentrieren, was wirklich wichtig war. Dauernd musste er daran denken, wie berauschend ihr Haar duftete, wie süß ihr Mund schmeckte und wie weich ihre Haut sich anfühlte.
Hölle und Teufel, er musste eine Lösung für seine Probleme finden!
Das Schicksal meinte es an diesem Tag nicht gut mit Jack. Als er die Treppe hinaufstieg, sah er, dass die Tür zu seinen Räumlichkeiten einen Spalt breit offen stand. Der Anblick erfüllte ihn mit Angst, Zorn und Kampfgeist. Vorsichtig schlich er weiter. War von drinnen etwas zu hören? Nein, auch als er die Tür aufstieß, blieb alles still.
Die Eindringlinge waren fort. Aber sie hatten jede Schublade herausgerissen, Papierstapel auf dem Fußboden verstreut und Bücher aus den Regalen gestoßen. Selbst der Kleiderschrank war durchsucht worden. Einige seiner Hemden waren zerrissen.
Sprachlos starrte er auf das Durcheinander.
Was, um Himmels willen, hatten die Einbrecher gesucht? Es war Jack ebenso unmöglich, eine Antwort darauf zu finden wie seine brodelnden Gefühle unter Kontrolle zu bringen.
Außer sich vor Wut bückte er sich nach einem Buch, um es gegen
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