Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Miss Lonelyhearts

Miss Lonelyhearts

Titel: Miss Lonelyhearts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathanael West
Vom Netzwerk:
zu schlagen.
    Gates packte den Stock von hinten und wand ihn ihm aus der Hand.
    Er begann heftig zu husten und hielt sich seinen schwarzen Seidenschlips vor den Mund. Immer noch hustend, schleppte er sich auf einen Stuhl hinten im Raum.
    Miss Lonelyhearts fühlte sich so wie Jahre zuvor, als er aus Versehen auf einen kleinen Frosch getreten war. Seine herausgequollenen Eingeweide hatten ihn mit Mitleid erfüllt, doch als er sein Leiden mit den Sinnen wirklich erfasst hatte, verwandelte sich sein Mitleid in Wut, und er hieb rasend auf ihn ein, bis er tot war.
    «Ich kriege aus diesem Scheißkerl schon noch seine Lebensgeschichte heraus», rief er und ging ihm nach. Gates folgte lachend.
    Als sie näher kamen, sprang der Alte auf die Füße. Miss Lonelyhearts fing ihn ab und zwängte ihn auf den Stuhl zurück.
    «Wir sind Psychologen», sagte er. «Wir wollen Ihnen helfen. Wie heißen Sie?»
    «George B. Simpson.»
    «Was bedeutet das B?»
    «Bramhall.»
    «Bitte Ihr Alter und die Art Ihres Ersuchens.»
    «Was gibt Ihnen das Recht, mich auszufragen?»
    «Die Wissenschaft gibt mir das Recht.»
    «Lassen wir’s», sagte Gates. «Die alte Schwuchtel heult gleich.»
    «Nein, Krafft-Ebing, Gefühle haben in der wissenschaftlichen Forschung nichts zu suchen.»
    Miss Lonelyhearts legte den Arm um den Alten. «Erzählen Sie uns die Geschichte Ihres Lebens», sagte er und füllte seine Stimme mit Anteilnahme.
    «Ich habe keine Geschichte.»
    Der Alte begann zu schluchzen.
    «Ja, ich weiß, Ihre Geschichte ist traurig. Raus damit, verdammt noch mal, raus damit.»
    Als der Alte weiter schwieg, packte er seinen Arm und verdrehte ihn. Gates suchte ihn wegzuziehen, doch er ließ ihn partout nicht los. Allen Kranken und Elenden verdrehte er den Arm, allen Gebrochenen und Betrogenen, allen Sprachlosen und Impotenten. Er verdrehte den Arm von VERZWEIFELT, GEBROCHENES HERZ, SCHNAUZE VOLL, ENTTÄUSCHT VON TUBERKULÖSEM EHEMANN .
    Der Alte begann zu schreien. Jemand versetzte Miss Lonelyhearts von hinten einen Schlag mit einem Stuhl.

MISS LONELYHEARTS UND MRS SHRIKE
    Miss Lonelyhearts lag vollständig angezogen auf seinem Bett, so wie er in der Nacht zuvor dort abgeladen worden war. Er hatte Kopfschmerzen, und seine Gedanken drehten sich innerhalb der Schmerzen wie ein Rad in einem Rad. Als er die Augen öffnete, drehte sich das Zimmer wie ein drittes Rad um den Schmerz in seinem Kopf.
    Von dort, wo er lag, konnte er den Wecker sehen. Er zeigte halb vier. Als das Telefon klingelte, kletterte er aus dem säuerlichen Haufen von Bettzeug. Shrike wollte wissen, ob er die Absicht hege, sich im Büro sehen zu lassen. Er antwortete, er sei betrunken, würde aber zu kommen versuchen.
    Er zog sich langsam aus und nahm ein Bad. Das heiße Wasser bereitete ihm ein körperliches Wohlgefühl, doch sein Herz blieb ein erstarrter Klumpen eisigen Fettes. Nachdem er sich abgetrocknet hatte, fand er im Medikamentenschrank etwas Whisky und trank ihn. Der Alkohol wärmte ihm nur die Magenwände.
    Er rasierte sich, zog ein sauberes Hemd und einen frisch gebügelten Anzug an und ging etwas essen. Als er die zweite Tasse kochend heißen Kaffees getrunken hatte, war es zu spät, zur Arbeit zu gehen. Aber er musste sich keine Sorgen machen, Shrike würde ihn nie an die Luft setzen. Er gab ein zu vollkommenes Ziel für Shrikes Witze ab. Einmal hatte er den Hinauswurf provoziert, indem er in seiner Kolumne Selbstmord empfahl. Shrike hatte nur gesagt: «Bitte vergiss nicht, dass dein Job in der Auflagensteigerung unserer Zeitung besteht. Selbstmord steht diesem Ziel doch wohl entgegen.»
    Er bezahlte das Frühstück und verließ die Cafeteria. Vielleicht würde ihn etwas Bewegung aufwärmen. Er beschloss, schnell zu gehen, wurde jedoch bald müde, und als er den kleinen Park erreichte, sank er auf eine Bank gegenüber dem Obelisken nieder, der an den Mexikanischen Krieg erinnerte. 26
    Der Steinpfeiler warf einen langen, steifen Schatten auf dem Weg vor ihm. Er saß da und starrte ihn an, ohne zu wissen warum, bis ihm auffiel, dass er in schnellen Rucken länger wurde und nicht so, wie sich Schatten üblicherweise verlängern. Er bekam es mit der Angst zu tun und blickte rasch zu dem Monument hoch. In der schwindenden Sonne wirkte es rot und geschwollen, als wäre es drauf und dran, eine Ladung Granitsamen auszustoßen.
    Er eilte davon. Als er wieder auf der Straße war, begann er zu lachen. Er hatte es mit heißem Wasser, Whisky, Kaffee, Bewegung probiert, Sex

Weitere Kostenlose Bücher