Miss Lonelyhearts

zurückzualbern. «Und du», sagte er, «bist ein alter Fiesling, der seine Frau prügelt.»
    Shrike lachte, aber zu lange und zu laut, dann brach er mit einem kunstvollen Seufzer ab. «Ach, mein Junge», sagte er, «du irrst dich. Wenn hier jemand Prügel austeilt, dann Mary.»
    Er nahm einen langen Schluck von seinem Highball und seufzte aufs Neue, noch kunstvoller. «Mein lieber Freund, ich würde mich gerne offen mit dir aussprechen. Ich habe viel übrig für offene Aussprachen, und heutzutage gibt es so wenige Menschen, mit denen man wirklich reden kann. Alle sind sie so hartgesotten. Ich möchte mir die Sache von der Seele reden, richtig von der Seele. Es ist besser, sich die Dinge von der Seele zu reden, als sie tief im Innern nagen zu lassen.»
    Beim Reden nickte er leicht und zwinkerte, sodass sein Gesicht lebendig blieb; offenbar wollte er auf diese Weise Vertrauen einflößen und beweisen, dass er ein ganz einfacher Kerl war.
    «Mein lieber Freund, dein Vorwurf trifft mich bis ins Mark. Ihr spirituellen Liebhaber glaubt, dass ihr allein leidet. Aber ihr irrt euch. Obwohl meine Liebe schnöde Fleischeslust und -last ist, leide auch ich. Es ist Leiden, was mich in die Arme der Misses Farkis dieser Welt treibt. Doch, ich leide.»
    An dieser Stelle bekam das undurchdringliche Gebaren Risse, und tatsächlich schlich sich etwas Wehleidiges in seine Stimme. «Sie ist selbstsüchtig. Sie ist ein verdammtes selbstsüchtiges Aas. Sie war Jungfrau, als ich sie geheiratet habe, und hat seither die ganze Zeit darum gekämpft, eine zu bleiben. Mit ihr zu schlafen ist, als schliefe man mit einem Messer in den Lenden.»
    Jetzt war Miss Lonelyhearts mit dem Lachen dran. Er hielt sein Gesicht ganz nahe an das von Shrike und lachte, so laut er konnte.
    Shrike versuchte ihn zu ignorieren, indem er zum Ende kam, als wäre alles ein Witz.
    «Sie behauptet, ich hätte sie vergewaltigt. Kannst du dir vorstellen, dass Willie Shrike, der winzige Willie Shrike, irgendjemanden vergewaltigt? Ich bin wie du, einer dieser dankbaren Liebhaber.»
    Mary kam in ihrem Morgenmantel ins Zimmer. Sie beugte sich über Miss Lonelyhearts und sagte: «Sprich nicht mit diesem Ferkel. Komm und bring den Whisky mit.»
    Als er ihr ins Schlafzimmer folgte, hörte er Shrike die Vordertür zuschlagen. Sie ging in eine große Kleiderkammer, um sich anzuziehen. Er saß auf dem Bett.
    «Was hat dieses Schwein zu dir gesagt?»
    «Dass du selbstsüchtig bist, Mary – sexuell selbstsüchtig.»
    «Das ist ja unerhört. Weißt du, warum er mich mit anderen Männern ausgehen lässt? Um Geld zu sparen. Er weiß, dass ich mich von ihnen knutschen lasse, und wenn ich heiß und verstört nach Hause komme, na was wohl? Dann steigt er zu mir ins Bett und bettelt darum. Der schäbige Mistkerl!»
    Sie kam mit einem schwarzen Spitzenhöschen aus der Kleiderkammer und begann am Frisiertisch ihr Haar zu richten.
    Miss Lonelyhearts neigte sich nach vorn, um ihren Nacken zu küssen.
    «Aber nicht doch», sagte sie mit gespielter kindlicher Koketterie. «Du bringst ja meine Haare ganz durcheinander.»
    Er nahm einen Schluck aus der Whiskyflasche, dann machte er ihr einen Highball. Als er ihn ihr brachte, gab sie ihm einen Kuss, ein kleines Belohnungsküsschen.
    «Wo essen wir?», fragte sie. «Wir wollen irgendwohin gehen, wo man tanzen kann. Ich will mich amüsieren.»
    Sie nahmen ein Taxi zu einem Lokal namens «El Gaucho».
    Als sie eintraten, spielte die Kapelle gerade eine kubanische Rumba. Ein als südamerikanischer Cowboy kostümierter Kellner führte sie an einen Tisch.
    Mary gab sich auf der Stelle als Spanierin, und ihre Bewegungen wurden schmachtend und hingebungsvoll.
    Doch das romantische Ambiente verstärkte nur sein Gefühl eisiger Verfettung. Er versuchte sich dagegen zu wehren, indem er sich sagte, dass es kindisch sei. Was war mit seinem großen, verständnisvollen Herzen geschehen? Gitarren, bunte Schultertücher, exotische Speisen, fremdländische Kostüme – alles dies war ein Teil des Traumgeschäfts. Er hatte gelernt, nicht über die Reklame zu lachen, die anbot, einem das Schreiben beizubringen, das Karikaturenzeichnen, den Maschinenbau, den Bizeps um ein paar Zoll zu vermehren und die Brüste zu vergrößern. Es hätte ihm folglich klar sein sollen, dass die Leute, die ins «El Gaucho» kamen, die nämlichen waren, die schreiben und das Leben eines Künstlers führen wollten, die Ingenieur sein und lederne Wickelgamaschen tragen wollten, die einen