Miss Lonelyhearts
aber hatte er vollständig vergessen. Was er wirklich brauchte, war eine Frau. Er lachte noch einmal, als ihm einfiel, dass im College alle seine Freunde geglaubt hatten, Geschlechtsverkehr wäre imstande, die Nerven zu stärken, die Muskeln zu entspannen und das Blut zu reinigen.
Doch er kannte nur zwei Frauen, die ihn ertragen würden. Seine Chancen bei Betty hatte er vertan, also musste es Mary Shrike sein.
Obwohl Mary immer stöhnte und die Augen verdrehte, brachte sie ihre Empfindungen nie mit dem Geschlechtsakt in Verbindung. Wenn er darauf bestand, dass es diese Verbindung gab, wurde sie sehr ungehalten.
Die Veränderung, die mit ihr vor sich ging, wenn er sie heftig küsste, hatte ihn überzeugt, dass ihr Stöhnen echt war. Ihr Körper strömte dann einen Geruch aus, der den künstlichen Blumenduft anreicherte, den sie hinter den Ohren und in den Mulden des Halses verwendete. Keine solche Veränderung ging indessen je in seinem Körper vor sich. Wie einen Toten konnte nur Reibung ihn warm und nur Gewalt ihn beweglich machen.
Er beschloss, ein paar Gläser zu kippen und Mary dann vom «Delehanty’s» aus anzurufen. Es war noch recht früh, und die Flüsterkneipe war leer. Der Barkeeper bediente ihn und ging dann zu seiner Zeitung zurück.
Auf dem Spiegel hinter dem Tresen hing ein Plakat, das für ein Mineralwasser warb. Es zeigte eine nackte junge Frau, züchtig gemacht von dem Nebel, der aus der Quelle zu ihren Füßen aufstieg. Der Künstler hatte eine Menge Sorgfalt darauf verwendet, ihre Brüste zu zeichnen, und ihre Brustwarzen standen hervor wie winzige rote Hüte.
Er versuchte sich aufzugeilen, indem er daran dachte, welches Gewese Mary um ihre Brüste machte. Sie benutzte sie, wie die Kokotten früherer Zeiten ihre Fächer benutzt hatten. Einer ihrer Tricks bestand darin, ein tief in ihren Busen hineinhängendes Medaillon zu tragen. Wenn er darum bat, es ansehen zu dürfen, zog sie es nicht etwa hervor, sondern lehnte sich zurück, damit er es betrachten könne. Obwohl er oft darum gebeten hatte, das Medaillon betrachten zu dürfen, hatte er noch nicht herausgefunden, was es darstellte.
Doch keinerlei Erregung wollte sich einstellen. Er kam sich sogar noch kälter vor als eben, als er noch nicht an Frauen gedacht hatte. Es war nicht sein Fach. Trotzdem blieb er beharrlich dabei, aus Verzweiflung, und ging zum Telefon, um Mary anzurufen.
«Bist du das?», fragte sie, und ehe er noch antworten konnte, setzte sie hinzu: «Muss dich sofort treffen. Habe mich mit ihm gestritten. Diesmal sind wir fertig miteinander.»
Sie redete immer in Schlagzeilen, und ihre Aufregung nötigte ihn, selber locker zu sein. «Okay», sagte er. «Wann? Wo?»
«Egal wo, ich bin fertig mit diesem Stinktier, das sag ich dir, ich bin fertig.»
Sie hatte sich auch vorher schon mit Shrike gestritten, und ihm war klar, dass er sich im Austausch gegen eine gewöhnliche Zahl von Küssen eine ungewöhnliche Menge an Klagen würde anhören müssen.
«Wollen wir uns hier treffen, im ‹Delehanty’s›?», fragte er.
«Nein, komm du her. Wir sind dann allein, und ich muss sowieso noch baden und mich anziehen.»
Wenn er bei ihr eintraf, würde er dort wahrscheinlich Shrike vorfinden und sie auf seinem Schoß. Beide wären sie erfreut, ihn zu sehen, und zu dritt würden sie ins Kino gehen, wo Mary unter dem Sitz seine Hand halten würde.
Er ging zur Theke zurück und ließ sich noch einen Drink geben, dann kaufte er einen Liter Scotch und nahm ein Taxi.
Shrike öffnete die Tür. Obwohl er ihn erwartet hatte, war er doch verlegen und suchte seine Verwirrung zu verbergen, indem er so tat, als sei er sturzbetrunken.
«Komm rein, komm rein, du Hausfriedensbrecher», sagte Shrike lachend. «Die Frau wird gleich da sein. Sie ist in der Wanne.»
Shrike nahm ihm die Flasche ab und entkorkte sie. Dann holte er Sodawasser und machte zwei Highballs.
«Aha», sagte Shrike und hob sein Glas, «darauf bist du also aus, wie? Whisky und die Frau des Chefs.»
Miss Lonelyhearts war wie immer um eine Antwort verlegen. Was er antworten wollte, war zu allgemein und reichte in der Geschichte ihrer Beziehung zu weit zurück.
«Du machst Feldstudien, nehme ich mal an», sagte Shrike. «Na, dann setz bloß diesen Whisky nicht auf deine Spesenrechnung. Jedoch sehen wir gern, wenn ein junger Mann mit dem Herzen bei der Arbeit ist. Du bist mit dem Herz auf der Zunge herumgelaufen.»
Miss Lonelyhearts machte einen verzweifelten Versuch
Weitere Kostenlose Bücher