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Miss Lonelyhearts

Miss Lonelyhearts

Titel: Miss Lonelyhearts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathanael West
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Erweckungserlebnis besteht darin, dass er sich am Ende doch dazu durchringt, seine Umwelt nicht mehr wahrnimmt, sich mit Christus identifiziert, zu seiner Heilsbotschaft ansetzt und sich damit nicht nur blamiert, sondern auf der Stelle scheitert.
    Zunächst scheint er nur unsicher, deprimiert von seiner beruflichen Blockade und ich-schwach; nichts drückt dieses sein Manko so beredt aus wie das Fehlen seines wirklichen Namens, das ihn das ganze Buch hindurch auf seine so schlecht ausgefüllte Rolle reduziert. Es scheint ihm hauptsächlich an Lebenserfahrung und Menschenkenntnis zu fehlen. Aber auch sich selbst kennt er offenbar nur schlecht. Soweit der Roman Lonelyhearts Innenansicht zeigt, fällt auf, dass diese lückenhaft ist und immer lückenhafter wird. Er scheint seine Situation bezogen auf seine Umgebung immer weniger einschätzen zu können. Er scheint nicht zu bemerken, dass ihm selber genau das fehlt, was er anderen predigen möchte: konkrete Menschenliebe. Seine Freundin Betty liebt er nicht, sie ist ihm zu oberflächlich, seine anderen Frauen, Mrs Shrike und Fay Doyle, auch nicht (oft wurde hinter seiner Misogynie und seinem Händchenhalten mit dem «Krüppel» eine unterdrückte Homosexualität vermutet). An niemanden denkt er mit so etwas wie Zuneigung oder wenigstens spontanem Mitgefühl. In ihm schlummert im Gegenteil eine gar nicht so latente Wut, auch auf die Briefschreiber, und zuweilen bricht sie in jäher Gewalttätigkeit aus ihm hervor. Als er den alten, aus der öffentlichen Toilette gezerrten Homosexuellen quält und ihm den Arm verdreht, verdreht er «allen Kranken und Elenden den Arm, allen Gebrochenen und Betrogenen, allen Sprachlosen und Impotenten». Als Doyle, der hilfesuchende «Krüppel», versehentlich seine Hand berührt, zuckt er angeekelt zurück, ehe er sich zwingt, die Hand zu drücken, peinlicherweise. Mit der Briefschreiberin Fay Doyle tut er das Falscheste, was er in seiner Position tun kann: Da er sich zu einer Art tätiger Nächstenliebe verpflichtet fühlt, schläft er mit ihr, obwohl sie ihn physisch anwidert; bei ihrem nächsten Annäherungsversuch schlägt er dann blindlings auf sie ein.
    Dass er es zu der Episode mit Mrs Doyle überhaupt kommen lässt, bezeugt, wie stark sein Wirklichkeitsbewusstsein bereits gelitten hat. Danach ist es dann vollends um ihn geschehen, er wird krank, bekommt Fieber, verkriecht sich im Bett, will von niemandem mehr gestört werden, erhält nur noch zum Schein ein wenig umgängliche Normalität aufrecht und rettet sich schließlich in die Vorstellung, er sei ein Fels, den nichts mehr erschüttern kann. Der Fels ist das Bild dafür, dass er in eine Art völliger seelischer Erstarrung verfällt: Er versteinert, nimmt nichts mehr wahr, glaubt sich von nichts mehr anrühren zu lassen, weiß Gott auf seiner Seite, setzt ein monotones gütiges Lächeln auf, das andere eher für dümmlich halten. Ehe diese seine letzte Pose auf die Probe gestellt werden kann, ist er tot.
    Alles endet, wie eine dermaßen verfahrene Situation nur enden kann: in einem fatalen Missverständnis. Doyle ist mit seiner Waffe nicht gekommen, um sich dafür zu rächen, dass Lonelyhearts einmal mit seiner Frau Sex hatte, das weiß er gar nicht; er will sich rächen, weil Lonelyhearts ihr den Sex verweigert und sie ihn daraufhin aus Rache der Vergewaltigung bezichtigt hat. Er will Lonelyhearts wohl auch gar nicht wirklich erschießen, sondern ihm nur ein wenig Angst einjagen, denn als der junge Mann ihm mit ausgebreiteten Armen entgegenkommt, um christusgleich ein Wunder an ihm zu tun, schießt er nicht, sondern wendet sich zur Flucht. Die zufällig hinzukommende Betty, die von alldem nichts weiß, schneidet sie ihm ab. Der unvermeidliche Schuss löst sich. Jetzt wird Doyle nicht wundersam gesunden, sondern die nächsten Jahre hinter Gittern verbringen.
    Was der Roman beschreibt, ist also keine spirituelle Erleuchtung, sondern eine fortschreitende Verirrung, eine Erkrankung, für die höchstens die Psychiatrie die richtigen Begriffe hätte. Lonelyhearts’ Gegenspieler, sein Vorgesetzter Shrike, ist genauso wenig ein spiritueller Gegenpol, ein «satanischer Versucher», wie er genannt wurde, sondern wahrscheinlich ähnlich krank, ein Katholik, dem sein Glauben abhandengekommen ist und der sich in einer hoffnungslosen Ehe einrichten musste. Seine lästerlichen Tiraden, mit denen er Lonelyhearts zwanghaft drangsaliert, verlieren sich in ein unsinniges Gewitzel, das niemand mehr

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