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Miss Lonelyhearts

Miss Lonelyhearts

Titel: Miss Lonelyhearts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathanael West
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gemusterten Spitzenkragen, wie der Kragen ihres Sodawassers.
    «Du solltest Bill Wheelwright wegen einer Stelle fragen. Er hat eine Agentur – ein prima Kerl. Er ist in mich verliebt.»
    «Ich könnte nie für einen Nebenbuhler arbeiten.»
    Sie rümpfte die Nase, und beide lachten. Er lachte noch immer, als er bemerkte, dass ihr Lachen irgendwie aus der Fasson geraten war. Sie weinte.
    Er tastete nach dem Felsen. Noch immer war er da; weder Gelächter noch Tränen konnten dem Felsblock etwas anhaben. Ihn kümmerten nicht Wind noch Regen.
    «Ach … », schluchzte sie. «Ich bin die Närrin.» Sie lief aus dem Lokal.
    Er folgte ihr und holte sie ein. Doch ihr Schluchzen wurde schlimmer, und er rief ein Taxi und zwang sie, einzusteigen.
    Schluchzend begann sie zu reden. Sie sei schwanger. Sie erwarte ein Kind.
    Er schob den Felsblock vor sich und wartete völlig gefasst, bis sie mit dem Weinen aufhörte. Als sie sich beruhigt hatte, bat er sie, ihn zu heiraten.
    «Nein», sagte sie. «Ich lasse es wegmachen.»
    «Bitte heirate mich.» Er flehte sie an, wie er sie vorhin angefleht hatte, mit ihm ein Soda trinken zu gehen.
    Er bat das Partykleid, ihn zu heiraten, sagte alles, was es hören wollte, alles, was zu Erdbeer-Soda und zum Landleben in Connecticut passte. Er war genau, wie das Partykleid ihn haben wollte: einfach und lieb, drollig und poetisch, ein bisschen studentenhaft, dabei aber sehr männlich.
    Als sie bei ihrem Haus angelangt waren, besprachen sie ihr Leben nach der Hochzeit. Wo sie wohnen würden und in wie vielen Zimmern. Ob sie sich ein Kind würden leisten können. Wie sie die Farm in Connecticut instand setzen würden. Was für Möbel ihnen beiden gefielen.
    Sie willigte ein, das Kind zur Welt zu bringen. Dieser Punkt ging an ihn.
    Seinerseits willigte er ein, Bill Wheelwright aufzusuchen und nach einem Job zu fragen. Mit viel Gelächter beschlossen sie, in ihrem Schlafzimmer drei Betten aufzustellen. Zwei zum Schlafen, sehr spröde und puritanisch, und dazwischen ein Liebeslager, ein mit Amoretten, Nymphen und Satyrn verziertes Doppelbett.
    Er fühlte sich nicht schuldig. Er fühlte überhaupt nichts. Der Fels war eine Versteinerung seines Gefühls, seines Gewissens, seines Realitätssinns, seiner Selbsterkenntnis. Er hätte alles planen können. Ein Luftschloss oder Liebe auf einem Balkon oder eine Piratenreise und die Liebe auf einer Tropeninsel.
    Als sich ihre Tür hinter ihm schloss, lächelte er. Der Fels war gründlich auf die Probe gestellt worden und hatte sich als vollkommen erwiesen. Er brauchte nur wieder in sein Bett zu steigen.

MISS LONELYHEARTS MACHT EINE RELIGIÖSE ERFAHRUNG
    Nach einer langen Nacht und einem langen Morgen war Miss Lonelyhearts das einsetzende Fieber willkommen. Es verhieß Hitze und intellektuell unmotivierte Gewalt. Die Verheißung ging bald in Erfüllung; der Fels wurde zu einem Hochofen.
    Er heftete den Blick auf die Christusfigur an der Wand gegenüber seinem Bett. Als er sie anstarrte, wurde sie zu einer hellen Fliege, die mit flinker Anmut auf einem Hintergrund blutroten, mit winzigen Nervensternen getüpfelten Samts sirrte.
    Alles im Zimmer war tot – Stühle, Tisch, Bleistifte, Kleidung, Bücher. Seine schwarze Welt der Dinge dachte er sich als einen Fisch. Und er hatte recht, denn plötzlich stieg er zu dem hellen Köder an der Wand hinauf. Er stieg unter einem Schwall von Musik, und er sah seinen glänzenden silbernen Bauch.
    Christus ist das Leben und das Licht. 47
    «Christus! Christus!» Der Ruf hallte durch die innersten Zellen seines Körpers.
    Er legte seinen Kopf auf eine kühlere Stelle des Kissens, und die Ader auf seiner Stirn war nicht mehr so geschwollen. Er fühlte sich sauber und frisch. Sein Herz war eine Rose, und in seinem Schädel blühte eine zweite Rose.
    Das Zimmer war voller Gnade. Eine liebliche, reine Gnade, nicht reingewaschen, aber so rein wie die Innenseiten der inneren Blütenblätter einer frisch aufgebrochenen Rosenknospe.
    Auch Seligkeit herrschte im Zimmer. Sie war wie ein sanfter Wind, und seine Nerven wogten unter ihm wie kleine blaue Blumen auf einer Weide.
    Er war sich zweier Rhythmen bewusst, die langsam zu einem verschmolzen. Als sie verschmolzen waren, war seine Einswerdung mit Gott vollkommen. Sein Herz war das eine Herz, das Herz Gottes. Und sein Hirn war ebenfalls das Hirn Gottes.
    Gott sagte: «Nimmst du es an, jetzt?» 48
    Und er erwiderte: «Ich nehme es an, ich nehme es an.»
    Sogleich begann er damit, ein

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