Miss Lonelyhearts
strukturierte jedes Kapitel klarer um ein einziges Ereignis herum, machte alles noch kürzer und knapper und genauer, bis das Manuskript sozusagen zu einem Romankonzentrat geworden war, in dem es kein überflüssiges Wort mehr gab und das dem Leser viel Freiraum zum Nachdenken ließ.
Am 8 . April 1933 erschien das Buch in dem ehemals anspruchsvollen New Yorker Verlag Horace Liveright. Zunächst sah es so aus, als könnte es West den erhofften Durchbruch bringen. Er erntete eine ganze Reihe positiver Rezensionen, aber auch einige emphatische Verrisse; es schien sich eine Kontroverse anzubahnen, kurz tauchte der Roman sogar auf Macy’s Bestsellerliste auf. Aber der Autor hatte diesmal noch größeres Pech als bei seinem ersten Buch. Drei Wochen nach Erscheinen von Miss Lonelyhearts war der Verlag pleite. Nicht nur, dass West keinen Cent sah; der Drucker behielt obendrein 1400 der gedruckten 2200 Exemplare so lange zurück, bis sie bezahlt wären. Freunden und Anwälten gelang es in der Folge, wenigstens die Rechte am Buch vom Konkursverwalter zurückzuerhalten. So konnte West sie noch einmal vergeben, an den Verlag Harcourt, Brace. Als dieser den Roman im Sommer aufs Neue herausbrachte, war das öffentliche Interesse jedoch eingeschlafen. Es wurden nur noch einige Hundert Exemplare verkauft, der Rest wurde bald als Taschenbuch verramscht. (Antiquarisch kostet ein Exemplar der Liveright-Ausgabe heute bis zu 1750 Dollar, der Harcourt-Brace-Ausgabe bis zu 400 Dollar.) Bis ins Jahr 1957 , als Farrar, Straus & Giroux Nathanael Wests Gesamtwerk (d. h. alle vier Romane) in einem Band herausgab, ein Vierteljahrhundert lang also, war Miss Lonelyhearts dann praktisch aus den Buchhandlungen verschwunden.
Ob Miss Lonelyhearts ohne das Dilemma mit dem bankrotten Verlag zu dem Erfolg geworden wäre, den West sich wünschte, um endlich vom Schreiben leben zu können, ist indessen fraglich. Zweimal wurde der Roman verfilmt, das erste Mal schon 1933 . Der Film hatte mit dem Roman nur insoweit zu tun, als in beiden eine «Briefkastentante» im Zentrum der Handlung stand. Tatsächlich räumte der Produzent, Darryl F. Zanuck, ein, er sei nur an dem Titel interessiert gewesen – den er letztlich aber auch nicht verwendete. Advice to the Lovelorn war ein Flop. Die zweite Verfilmung ( 1958 , unter dem Titel Lonelyhearts , deutsch Das Leben ist Lüge , Regie Vincent J. Donehue) kam der Romanhandlung etwas näher, aber ein Vergleich lässt ermessen, welcher Abstand den Roman von den Sphären trennte, in denen Publikumserfolge gedeihen. Der Film machte die Titelfigur zu einem gefestigten, selbstsicheren jungen Journalisten, entschärfte und «normalisierte» auch die anderen Protagonisten, unterschlug den Inhalt der brieflichen Hilferufe und damit das Problem, vor dem der junge Mann stand, tilgte die religiöse Dimension vollständig und bescherte dem Ganzen zwar kein Happy End, aber doch eine gehörige Dosis Optimismus. Lonelyhearts, der hier einen richtigen Namen trägt, Adam White, erkrankt nicht und wird auch nicht erschossen, sondern hoffnungsvoll ins Leben entlassen. Kern des Dramas ist, dass White dummerweise einen Fehler macht: Er tappt in die Falle, die ihm sein abgebrühter, aber nicht böswilliger Ressortchef Shrike stellt, und lässt sich mit der sexhungrigen Fay Doyle ein. Im Nachhinein erweist sich die Affäre als eine Art Prüfung, die dem jungen Journalisten noch etwas Lebenserfahrung und Reife verschaffen sollte. Hollywood färbte ein tiefschwarzes in ein rosarotes Werk um.
Hätte Nathanael West ein solches Buch geschrieben, so wäre ihm vielleicht kurzfristig etwas mehr Erfolg beschieden gewesen, aber kein seriöser Kritiker hätte sich noch Jahrzehnte später daran erinnert und ihm attestiert, was ihm Edmund Wilson, und sinngemäß nicht nur er, attestiert hat: Er habe mindestens zwei Bücher hinterlassen, «die als Kunstwerke vollendeter und vollkommener sind als fast alles andere, was seine Generation hervorgebracht hat». (Wilson meinte Miss Lonelyhearts und Der Tag der Heuschrecke .)
Die erste Verfilmung verschaffte West immerhin das Entree in Hollywood, von dem er Gebrauch machte, als auch sein nächster, schnell geschriebener Roman Eine glatte Million ( 1934 ), eine brutale Satire auf das Amerika der Depressionsjahre, wieder von einem nahezu bankrotten Verlag herausgebracht wurde – und wiederum unterging. 1934 siedelte West nach Hollywood über, verdingte sich als meist anonymer Skriptzulieferer bei Columbia
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