Miss Marples letzte Fälle
Gong schlug – das ist ein gebräuchlicher chinesischer Zeitvertreib, gla u be ich – ganz wie immer. Die Bewohner der Stadt waren tief beeindruckt von seiner tapferen Haltung.«
»Aber«, entgegnete Miss Marple, »die Leute von St. M a ry Mead reagieren eben anders. Chinesische Philosophie hat für sie keine Gültigkeit.«
»Aber Sie verstehen mich?«
Miss Marple nickte. »Mein Onkel Henry«, erklärte sie, »war ein ungewöhnlich beherrschter Mann. Sein Motto lautete: Zeig niemals Gefühle! Auch er liebte Blumen sehr.«
»Ich habe mir überlegt«, bemerkte Mr Spenlow beinahe mit Eifer, »dass ich mir vielleicht an der Westseite des Hauses eine Pergola bauen könnte. Mit rosa Heckenrosen und Glyzinien vielleicht. Und es gibt da so eine weiße, sternenähnliche Blume, deren Name mir im Augenblick nicht einfällt – «
In dem Ton, den sie ihrem dreijährigen Großneffen g e genüber anschlug, sagte Miss Marple: »Ich habe einen sehr schönen Katalog mit Abbildungen da. Vielleicht haben Sie Lust, ihn sich anzusehen – ich muss jetzt noch ins Dorf hinauf.«
Während Mr Spenlow selig mit seinem Katalog im Ga r ten zurückblieb, eilte Miss Marple in ihr Zimmer hinauf, packte hastig ein Kleid in braunes Papier und ging aus dem Haus. Geschwinden Schrittes marschierte sie zum Postamt. Miss Politt, die Schneiderin, wohnte direkt über dem Postamt.
Doch Miss Marple trat nicht gleich durch die Tür, um die Treppe hinaufzugehen. Es war gerade halb drei Uhr, und eben, mit einer Minute Verspätung, hielt vor der Tür zum Postamt der Bus nach Much Benham. Es war eines der besonderen Tagesereignisse in St. Mary Mead. Mit Paketen beladen eilte das Fräulein von der Post aus der Tür. Es waren Pakete, die mit ihrem Ladengeschäft zu tun hatten. Im Postamt nämlich konnte man auch Süßi g keiten, billige Bücher und Spielzeug kaufen.
An die vier Minuten stand Miss Marple allein im Pos t amt.
Erst als das Postfräulein wieder zurückkehrte, ging Miss Marple nach oben und erklärte Miss Politt, dass sie gern ihr altes graues Seidenkleid ändern lassen würde. Es sollte etwas modischer werden, wenn das möglich war. Miss Politt versprach zu sehen, was sich da tun ließe.
Der Polizeichef war sehr erstaunt, als ihm Miss Marple gemeldet wurde. Unter Entschuldigungen trat sie ein.
»Verzeihen Sie – verzeihen Sie vielmals die Störung. Ich weiß, Sie haben viel zu tun. Aber Sie waren immer so entgegenkommend, Oberst Melchett, und ich hielt es einfach für besser, mich direkt an Sie zu wenden und nicht an Inspektor Slack. Schon deshalb, weil ich Palk keinesfalls Ungelegenheiten bereiten möchte. Genau g e nommen hätte er ja wohl überhaupt nichts anrühren dü r fen.«
Oberst Melchett war einigermaßen verwirrt.
»Palk?«, echote er. »Das ist der Polizeibeamte von St. Mary Mead, nicht wahr? Was hat er denn angestellt?«
»Er hat eine Stecknadel vom Boden aufgehoben. Er steckte sie sich an sein Jackett. Und mir schoss damals der Gedanke durch den Kopf, dass er sie wahrscheinlich in Mrs Spenlows Haus gefunden hatte.«
»Gewiss, gewiss. Aber, lieber Gott, was ist schon eine Stecknadel? Er hat die Nadel tatsächlich unmittelbar n e ben der Leiche von Mrs Spenlow gefunden. Gestern b e richtete er Slack davon. Ich vermute, dazu haben Sie ihn veranlasst, wie? Selbstverständlich hätte er in dem Haus nichts anrühren sollen, aber wie ich schon sagte – was ist eine Stecknadel? Es war eine ganz gewöhnliche Nadel. Solche Dinger hat wahrscheinlich jede Frau in ihrem Nähkasten.«
»Nein, Oberst Melchett, da täuschen Sie sich. Für ein Männerauge sah sie vielleicht aus wie eine gewöhnliche Nadel, aber es war eine ganz besondere Nadel, eine sehr dünne Stecknadel. Man kauft diese Nadeln immer in gr ö ßeren Mengen. Im Allgemeinen werden sie von Schneid e rinnen verwendet.«
Melchett starrte sie an, und ein schwacher Schimmer des Begreifens blitzte in seinen Augen auf. Miss Marple nickte mehrmals voller Eifer.
»Ja, ganz recht. Es ist doch so offenkundig. Sie hatte i h ren Morgenrock an, weil sie ihr neues Kleid anprobieren wollte. Sie ging ins vordere Zimmer, und Miss Politt sa g te, sie müsste Maß nehmen und legte ihr das Maßband um den Hals. Sie brauchte es nur noch über Kreuz zu legen und fest zusammenzuziehen. Das soll ganz leicht sein, habe ich gehört. Und danach ist sie wieder nach draußen gegangen, hat die Tür zugezogen und hat g e klopft, als wäre sie gerade erst gekommen. Aber die Stecknadel verrät,
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