Miss Marples letzte Fälle
Haus – nein, nein, es macht nichts. Ich kann darauf verzichten. Etwas dünnen Tee und eine Scheibe Zitrone – keine Zitronen?
Nein, wirklich nicht, ich kann Tee ohne Zitrone nicht trinken. Die Milch heute Morgen war sauer, das hat mir den Appetit auf Tee mit Milch gründlich verdorben. Aber es macht nichts. Ich kann auf meinen Tee verzichten. Ich fühle mich nur so matt. Man sagt, Austern wären so nahrhaft. Ob mir einige Austern schmecken würden? Aber nein, das wäre zu viel verlangt, wo sollte man sie herbekommen zu dieser Tageszeit. Ich kann bis morgen damit warten.«
Lavinia murmelte etwas vor sich hin, das sich anhörte wie ›mit dem Rad ins Dorf fahren‹.
Miss Emily schenkte ihrem Gast ein schwaches Lächeln und wiederholte, wie verhasst es ihr sei, andere zu bem ü hen.
Miss Marple berichtete Edna am selben Abend von ihrer vergeblichen Mission.
Leider hatte sich das Gerücht über Gladys ’ vermeintl i che Unehrlichkeit bereits wie ein Lauffeuer im Dorf ve r breitet.
In der Post sprach Miss Wetherby davon. »Meine liebe Jane, in ihrem Zeugnis steht, dass sie fleißig, umsichtig und anständig war, von Ehrlichkeit wurde nichts erwähnt. Das ist doch eindeutig! Ich habe gehört, es ging um eine Brosche. Es muss etwas Wahres daran sein, für nichts und wieder nichts trennt man sich heutzutage nicht von einem Dienstmädchen. Sie werden schwerlich Ersatz finden. Die Mädchen gehen nicht gern ins Old Hall. Wart ’ s ab, die Skinners werden keine andere finden, und dann muss diese widerliche, hypochondrische Schwester vielleicht aufstehen und selbst was tun!«
Eine Welle der Empörung erfasste das ganze Dorf, als bekannt wurde, dass die Misses Skinner durch die Ve r mittlung einer Agentur ein neues Dienstmädchen eng a giert hatten. Nach allem, was man hörte, sollte es sich dabei um einen Ausbund von Tugend handeln.
»Sie hat ausgezeichnete Zeugnisse und Empfehlung s schreiben, liebt das Landleben und verlangt weniger Lohn als Gladys. Wir haben wirklich Glück gehabt.«
»Ja, tatsächlich«, antwortete Miss Marple, als ihr Miss Lavinia diese Einzelheiten beim Fischhändler berichtete. »Fast zu schön, um wahr zu sein.«
In St. Mary Mead begann man zu hoffen, dass die T u gendhaftigkeit in Person in letzter Minute absagen würde.
Wie dem auch sei – keine der Prophezeiungen traf ein, und das ganze Dorf konnte die Ankunft der Perle n a mens Mary Higgins beobachten, wie sie sich in Reeds Taxi zum Old Hall fahren ließ. Man konnte nicht bestre i ten, dass sie einen guten Eindruck machte. Sie war eine respektabel aussehende Frau, sehr geschmackvoll gekle i det. Als Miss Marple das nächste Mal Old Hall aufsuchte, um Mitwirkende für das bevorstehende Kirchenfest a n zuwerben, öffnete ihr Mary Higgins die Tür. Sie war ohne Zweifel eine repräsentable Hausangestellte, ungefähr vierzig Jahre alt, mit gepflegtem schwarzem Haar, rosigen Wangen, einer rundlichen Figur, diskret in Schwarz g e kleidet mit einer weißen Schürze und Haube – unve r wechselbar der gute, altmodische Typ von Hausmädchen, wie Miss Marple sie später beschrieb. Dazu passend eine leise, wohl klingende Stimme, eine angenehme Abwech s lung zu Gladys ’ lauter, nasaler Tonart.
Miss Lavinia machte einen wesentlich ruhigeren Ei n druck, und obwohl sie es bedauerte, nicht aktiv am Ki r chenfest mitwirken zu können – aus Rücksicht auf ihre Schwester –, beteiligte sie sich mit einer beachtlichen Summe.
Miss Marple gratulierte ihr zu ihrem guten Aussehen.
»Das habe ich größtenteils Mary zu verdanken. Ich bin so froh, dass ich mich dazu entschlossen habe, das andere Mädchen zu entlassen. Mary ist unschätzbar. Sie kocht gut, serviert perfekt und hält unsere kleine Wohnung peinlich sauber. Und sie kann so gut mit Emily umg e hen!«
Miss Marple erkundigte sich hastig nach Emilys Woh l ergehen.
»Oh, die Arme. Es ist ihr in letzter Zeit nicht sehr gut gegangen. Sie kann natürlich nichts dafür, aber es ist oft recht schwierig. Sie hat Appetit auf ein bestimmtes G e richt, es wird für sie gekocht und dann mag sie nicht e s sen, bis sie plötzlich eine halbe Stunde später wieder d a nach verlangt. Da ist das Essen natürlich nicht mehr g e nießbar und muss erneut gekocht werden. Das macht sehr viel Arbeit, aber glücklicherweise scheint das Mary nichts auszumachen. Sie sagt, sie ist an den Umgang mit Kranken gewöhnt und versteht ihre Bedürfnisse. Was für eine Hilfe sie ist!«
»Meine Liebe«, sagte Miss Marple.
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