Miss Marples letzte Fälle
mich bin, denn ich habe mit etwas gesundem Menschenverstand ein Problem g e löst, das wesentlich klügeren Köpfen als meinem zu schaffen machte. Zwar lag die Lösung von A n fang an auf der Hand…
Also, ich werde euch meine kleine Geschichte erzählen, und wenn ihr meint, dass ich mir zu viel darauf einbilde, denkt daran, ich habe einem Menschen geholfen, der sich in großen Schwierigkeiten befand.
Ich erinnere mich, dass Gwen eines abends um neun Uhr – ihr erinnert euch doch noch an Gwen, mein nettes rothaariges Dienstmädchen? – also, Gwen kam und sagte mir, Mr Petherick und ein anderer Herr wünschten mich zu sprechen. Sie saßen im Wohnzimmer, während ich mich im Esszimmer aufhielt; ich finde es so verschwe n derisch, im Frühling zwei Kamine brennen zu lassen.
Ich wies Gwen an, Cherry-Brandy und Gläser zu bri n gen, und ging ins Wohnzimmer. Ich weiß nicht, ob ihr euch an Mr Petherick erinnert? Er starb vor zwei Jahren, doch viele Jahre lang war er sowohl ein persönlicher Freund als auch ein guter Rechtsberater für mich. Ein sehr gewissenhafter und auch kluger Rechtsanwalt. Jetzt kümmert sich sein Sohn um meine Angelegenheiten auch ein fähiger Kopf –, doch irgendwie habe ich nicht dasse l be Vertrauen zu ihm.
Ich entschuldigte mich bei Mr Petherick, dass kein Fe u er im Kamin brenne, und dann stellte er mich seinem Freund vor, einem Mr Rhodes. Einem noch jungen Mann, etwas über Vierzig. Ich merkte sofort, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Er benahm sich sehr seltsam. Man hätte ihn für unhöflich halten können, doch er stand u n ter einem großen Druck, wie ich gleich merkte.
Nachdem wir uns im Esszimmer niedergelassen hatten, jeder ein Gläschen Cherry-Brandy vor sich, erklärte Mr Petherick den Grund seines Kommens.
›Miss Marple‹, sagte er, ›bitte entschuldigen Sie meinen unerwarteten Besuch. Aber ich brauche Ihren Rat.‹
Ich wusste nicht, was er mit seinen Worten sagen wol l te, doch er fuhr fort: ›Wenn jemand schwer erkrankt ist, möchte man immer zwei Diagnosen haben. Die des Hausarztes, und die eines Spezialisten. Allgemein wird angenommen, dass die Diagnose des Spezialisten komp e tenter ist, doch der Meinung bin ich nicht. Ein Spezialist kennt nur sein eigenes Fachgebiet, der Hausarzt aber hat – vielleicht – weniger Fachwissen, dafür um so mehr E r fahrung.‹
Ich wusste, was er damit sagen wollte. Erst vor Kurzem hatte eine meiner jungen Nichten ihr Kind von einem bekannten Dermatologen behandeln lassen, ohne vorher ihren Hausarzt zu konsultieren. Der Dermatologe ve r ordnete eine ziemlich teure Behandlung, und schließlich stellte es sich heraus, dass das Kind einfach die Masern hatte.
Ich führe das nur an – denn ich hasse es, vom Thema abzuschweifen –, um zu erklären, dass ich verstand, was Mr Petherick meinte. Doch ich wusste immer noch nicht, worauf er hinauswollte.
›Falls Mr Rhodes krank sein sollte …‹, sagte ich, doch unterbrach mich sofort, denn der arme Mann lachte ve r bittert.
Er meinte: ›Wahrscheinlich werde ich innerhalb von ein paar Monaten tot sein.‹
Und dann wurde die ganze Geschichte klarer. Vor Ku r zem war in Barnchester ein Mord geschehen. Es ist eine kleine Stadt, etwa zwanzig Meilen von hier entfernt. Ich hatte dem damals nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt, denn hier bei uns im Ort passiert immer Allerlei. Doch ich konnte mich erinnern, dass ich über eine Frau gelesen hatte, die in einem Hotel erstochen aufgefunden wurde. Ihren Namen wusste ich nicht mehr. Und jetzt stellte sich heraus, dass diese Frau Mr Rhodes ’ Gattin gewesen war und er unter Mordverdacht stand.
Das alles erzählte mir Mr Petherick und betonte die Tatsache, dass, obwohl Anklage gegen Unbekannt erh o ben worden war, Mr Rhodes in Kürze mit einer Morda n klage rechnen müsse. Deshalb habe er Mr Petherick au f gesucht und um seinen Beistand gebeten. Mr Petherick fügte noch hinzu, dass sie beide am Nachmittag Sir Ma l colm Olde aufgesucht hätten, der im Fall einer Anklage Mr Rhodes verteidigen würde.
Sir Malcolm sei ein junger, dynamischer Mann, sagte Mr Petherick, sehr modern in seinen Methoden, und er habe schon eine gewisse Verteidigungstaktik für diesen Fall entwickelt. Doch mit dieser Verteidigungstaktik war Mr Petherick ganz und gar nicht einverstanden.
›Liebe Miss Marple‹, sagte er, ›sie sieht mir zu sehr nach dem Standpunkt eines Spezialisten aus. Wenn Sie Sir Malcolm einen Fall übertragen, legt er sich auf einen Punkt fest, was
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