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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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dem Kaminfeuer eingedöst, hatten über die Schmuggelei und das Verfassen chiffrierter Nachrichten an ihre Komplizen gesprochen. Plötzlich nahm sie die leise, aber eindringliche Stimme von Déprez wahr und bemerkte, wie seine Hand sie am Arm berührte. »Miss Finch, geht es Ihnen gut?«
    »Doch, doch. Ich habe nur …«
    »Und ich wette eine Guinea, dass keiner von Ihnen errät, was Tracey in der Manteltasche bei sich trug«, fuhr Mr. Somerville fort und strahlte in die Runde.
    Mrs. Somerville runzelte besorgt die Stirn, aber ihr Ehegatte hob beruhigend die Hand. »Keine Angst, meine Liebe«, sagte er lächelnd, »es war nur ein Abschnitt aus den Kommentaren von Blackstone! Können Sie sich das vorstellen?«
    Mr. Goudge konnte darüber lachen. »Sehr gut, Sir. Meine Rede. Eine äußerst passende Lektüre für einen eingefleischten Halunken.«
    »Aber Sir«, drängte Mrs. Somerville, »gehen Sie doch nicht so hart mit dem Armen ins Gericht. Das zeugt sicher von seinen guten Absichten. Bestimmt wollte er sich bessern, wenn er einen Kommentar bei sich trug.«
    Mr. Goudge glotzte mit offenem Mund, dann lächelte er sie überschwänglich an. »Nein, Mrs. S., da irren Sie, obgleich Ihr Großmut für Sie spricht! Wir reden nicht von einer … Erbauungslektüre , müssen Sie wissen...«
    »Es ist ein Buch über das Gesetz, Ma’am«, entgegnete Mary fast flüsternd. »Die Kommentare zu den englischen Gesetzen« .
    »Wie bitte?«, rief Miss Hunnable. »Ich wünschte, Sie würden lauter sprechen, Miss Finch. Wovon reden Sie?«
    »Vom bedeutendsten Gesetzeswerk Englands, Miss Hunnable«, brüllte Mr. Somerville nun über den gesamten Tisch hinweg. »Und ich glaube, meine liebe Frau ist da nicht so ganz im Bilde, denn dieses Buch ist ein Geschenk Gottes für uns alle, die wir Recht sprechen müssen. Ich würde es nicht die Bibel des Friedensrichters nennen, zumindest nicht in Anwesenheit des Reverend, aber das trifft es eigentlich. Es hat mir schon so manches Mal aus einer schwierigen Situation beim vierteljährlichen Gerichtstag geholfen, wenn Henry Rushmore versuchte, sich uns allen gegenüber als Advokat aufzuspielen. Ein Satz aus dem Blackstone ließ ihn verstummen, das kann ich Ihnen sagen.«
    »Advokaten jeglicher Couleur sind das größte Ärgernis«, stimmte Mrs. Tipton ihm zu.
    »Ein Buch über das Gesetz«, murmelte Mrs. Somerville, dankbar darüber, dass sie sich ihren Kommentar über Reverend Blackstone verkniffen hatte. »Aber woher wissen Sie darüber Bescheid, Miss Finch?« Man wollte sich ja nicht kritisch über Gäste äußern, aber sich so mit der Arbeit eines Friedensrichters auszukennen erschien ihr, nun, eine höchst seltsame Fähigkeit für eine junge Dame der feinen Gesellschaft.
    Mary verspürte etwas von der Angst ihrer Gastgeberin, deshalb antwortete sie so beiläufig, wie sie konnte, wobei sie trotzdem laut genug sprach, damit Miss Hunnable sie hören konnte. »Mein Vater besaß mehrere Gesetzestexte, Ma’am, darunter Blackstones Kommentare . Er hatte Jurisprudenz studiert und hielt sie für eine gute allgemeine Einführung in die Materie.« Doch der Versuchung, noch hinzuzufügen, dass sie selbst sogar einen Teil dieses wie ein Heiligtum verehrten Textes gelesen hatte, widerstand sie.
    »Nun, vielleicht wollte dieser Tracey ja auch eine andere Laufbahn einschlagen«, rief Mr. Goudge aus, »obgleich man sagt, dass Advokaten die größten Diebe sind, weil sie einen berauben und dafür auch noch Geld verlangen!«
    Mr. Goudge und Mr. Somerville brachen angesichts dieses geistreichen Ausspruchs in schallendes Gelächter aus. Abermals musste Mary laut sprechen, um sich Gehör zu verschaffen. Entsann sich Mr. Somerville noch, welchen Teil der Kommentare Mr.Tracey besaß? »Denn das Werk umfasst doch mehrere Bände, nicht wahr?«
    »Stimmt, es sind vier schwere Bände«, antwortete Mr. Somerville noch immer lächelnd. »Aber Tracey trug nur ein paar Seiten bei sich, die er vermutlich aus einem Band herausgerissen hatte. Es war ein Teil aus dem Abschnitt über zivile Schwurgerichte. Das habe ich sofort erkannt.« Er gluckste abermals. »Der Kerl hätte lieber mal die Kapitel über Strafprozesse lesen sollen.«
    »In der Tat!«, sagte Mr. Goudge und lachte dabei auf.
    Mary wandte sich erneut ihrem Obstmesser zu und drehte es immer wieder auf der Tischdecke um. Dabei beobachtete sie den Widerschein des Kerzenlichts, den diese Bewegung hervorrief. Abermals drang die vertrauliche Stimme von Mr. Déprez an ihr

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