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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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in England zu weilen, Mr. Déprez, wo wir uns jetzt im Krieg mit Frankreich befinden?«
    »Unangenehm? Aber nein, Miss Finch, keineswegs. Warum fragen Sie?«
    »Bitte entschuldigen Sie«, sagte Mary und errötete. »Ich dachte … Déprez sei ein französischer Name.«
    Er zuckte mit den Achseln. »Mein Großvater stammte aus Montreuil und meine Großmutter aus Hampshire. Überrascht es Sie, in mir einen Landsmann vor sich zu sehen? Aber um ehrlich zu sein, ich stamme aus Westindien. Sowohl mein Vater als auch ich kamen in St. Lucia zur Welt, und wenn dieser Krieg vorbei ist und man dort wieder seinen Lebensunterhalt verdienen kann, ohne dass einem das eigene Haus um die Ohren fliegt, dann werde ich dorthin zurückkehren.«
    »Und bis dahin bleiben Sie in England?«, wollte Mrs. Tipton wissen.
    Déprez hielt dies für sehr wahrscheinlich, wo sonst sollte er hingehen?
    »Auf dem Kontinent ist es zu gefährlich für jemanden wie mich, vorausgesetzt, es wäre überhaupt gestattet, sich dorthin zu begeben. Ich … bin kein Mann des Schwertes, und wenn man auf Reisen geht, ist man gezwungen, einer zu sein. Ich halte es für das Angebrachteste, noch eine ganze Weile hierzubleiben. Vielleicht mache ich meinen Cousins in Hampshire meine Aufwartung. Sie wohnen in einem Ort namens Minsted. Kennen Sie den, Miss Finch?«
    Sie musste dies verneinen. Daraufhin unterhielten sie sich über die Vorzüge von Hampshire und Somerset und insbesondere von Bath, wo Mary aufgewachsen war. Déprez wusste nichts über ihre Lebensumstände, abgesehen davon, dass sie als Lehrerin gearbeitet hatte. Wie sie ihm so ruhig und ohne sich über ihr Schicksal zu beklagen von ihrer Kindheit in bescheidenen Verhältnissen und dem Tod ihrer Eltern erzählte, stieg sie noch mehr in seinem Ansehen. Sogar einen ganz unvertrauten Anflug von Zärtlichkeit verspürte er. »Es tut uns sehr leid, was Sie hier in Suffolk erleiden mussten, wenn Sie mir diese offenen Worte gestatten«, murmelte er.
    Das Lächeln, das Mary ihm zur Antwort gab, ließ Mrs. Tipton stutzen, denn selbst das nützlichste Tonikum konnte sich als zu stark erweisen. Daher klopfte sie mit ihrem Stock energisch auf das Parkett. »Ja, ja«, meinte sie, »aber wie ist es denn um die Anstrengungen bestellt, die Schurken in die Hände zu bekommen, die Miss Finch im Haus ihres Onkels in ihre Gewalt gebracht haben? Ich hoffe doch sehr, die Gesetzeshüter ruhen sich da nicht auf ihren Lorbeeren aus? Was wird unternommen?«
    »Selbstverständlich nicht, Ma’am«, setzte Mr. Somerville an, »will sagen, ich habe etwas über diesen Kerl namens Tracey erfahren, obgleich hier am Esstisch wohl nicht der richtige Ort für derartige Gespräche ist.«
    »Mumpitz«, spöttelte Mrs.Tipton, »so reden Sie doch, bitte. Wir werden schon nicht in Ohnmacht fallen«, und sie machte eine Geste, um anzudeuten, dass sie dabei ganz allgemein im Namen des weiblichen Geschlechts sprach, oder doch zumindest für die im Raum befindlichen Damen.
    Mr. Somerville räusperte sich und begann damit, dass Tracey mehrere Tage vor dem Unfall im Great White Horse zu Gast gewesen sei und dort offenbar auf jemanden gewartet habe - einen Komplizen. Dann hielt er einen Moment inne, um seine Worte wirken zu lassen, woraufhin Mr. Goudge prompt die gewünschte Frage stellte. Warum sprach er von einem Komplizen? War dieser Tracey - hier korrigierte Mr. Goudge seine Ausdrucksweise aus Rücksicht auf die anwesenden Damen - nicht eigentlich derjenige, welcher?
    Mr. Somerville meinte, er habe diesen Ausdruck benutzt, weil der Verstorbene William Tracey den Friedensrichtern in Essex als Dieb, Betrüger und Kleinkrimineller wohlbekannt war. Da hatte er bestimmt Komplizen.
    Mary schwieg zunächst und spielte mit ihrem Obstmesser. »Glauben Sie, Mr. Tracey könnte etwas mit den Schmugglern auf White Ladies zu tun gehabt haben? Wenn es Schmuggler waren, meine ich.«
    Mr. Somerville erwog dies. »Möglich wär’s, aber ein Halunke wie Tracey war wohl zu allem zu gebrauchen.«
    »Sicher, aber er muss doch … die Uhr meines Onkels entwendet haben und...«
    »Ach ja, das hatte ich ganz vergessen und dazu noch den Schlüssel. Gut beobachtet! Vielleicht gehörte er tatsächlich zu der Bande.«
    Mary sank das Herz. Teil einer Bande! Einer Bande, zu der auch ihr Onkel gehört haben konnte! Vielleicht hatte er William Tracey den Schlüssel zu White Ladies und die Uhr gegeben. Oder sie waren sogar Freunde gewesen, waren an kalten Winterabenden zusammen vor

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