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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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die Tür und überwand sich, die Bibliothek zu betreten. Ohne Cuff, der schwer atmend hinter ihr stand, hätte sie das vielleicht nicht über sich gebracht. »Wenn Sie bitte die Vorhänge dort aufziehen könnten, das wäre eine große Hilfe.«
    Wenngleich man sicher nicht von sonnigem Wetter sprechen konnte, sah die Bibliothek im trüben Spätvormittagslicht ein ganzes Stück freundlicher aus und nicht mehr wie ein Ort, an dem man überfallen werden konnte. Cuff setzte sich an den nun leeren Schreibtisch, die Flinte quer über den Schoß gelegt, während Mary die Bücherregale durchforstete, die sich über die drei Wände des Raums erstreckten.
    Und sie fand sie: vier Bände, ordentlich in Kalbsleder gebunden, und auf jedem Buchrücken stand klar und deutlich der Titel Kommentare gedruckt. Sie zog Band eins aus dem Regal und schlug die Titelseite auf, ihr Blick wanderte sofort zur unteren Zeile: VIERTE AUFLAGE. M.DCC.LXX. Mit zittrigen Fingern klappte sie das Buch wieder zu und schloss die Augen. Edward Finch war nicht in der Lage gewesen, den Code zu lesen oder eine Verschlüsselung vorzunehmen.
    »Und, alles gefunden, was Sie gesucht haben?«, fragte Cuff.
    »Ja, ja, nur noch einen Moment«, vertröstete ihn Mary hastig, »ich bin fast fertig.« Sie schlug den Band noch einmal auf und verglich ihn mit dem von Mrs.Tipton. Sie wusste, mit der vierten Auflage funktionierte der Code nicht, aber zur Sicherheit prüfte sie es doch noch nach.
    Ein letzter Gedanke schoss ihr durch den Kopf: Vielleicht hatte ihr Onkel noch ein weiteres Exemplar besessen. Die Wahrscheinlichkeit schien zwar gering, aber sie wollte ganz sichergehen.
    »Kann ich Ihnen helfen, Miss?«, fragte Cuff, als Mary erneut die Regale absuchte.
    »Ja, ich suche ein Buch, die Kommentare von Blackstone.Wie dieses hier«, fügte sie hinzu und zeigte ihm den Band.
    »Nicht die, die Sie hier gestapelt haben?«
    »Nein, die nicht, aber doch ziemlich ähnlich aussehend.«
    Sie durchstöberten eifrig die Regale, Cuff in großer Verwunderung, Mary wie entrückt von dem Gedankenwirrwarr in ihrem Kopf. Edward Finch hatte die Dokumente nie gelesen. Also war er kein Spion und trug keinerlei Verantwortung für die ganzen Vorfälle.
    Sie spürte eine Woge der Erleichterung, aber unterschwellig auch ein nagendes Schuldgefühl. Sie hätte das nie von ihm denken sollen. Ihr eigener Onkel, und sie hatte ihn für einen Verräter gehalten! Selbstverständlich war sie froh, dass sich ihre Annahme als falsch herausgestellt hatte. Schließlich wollte sie nie einen Spion in ihm sehen. Aber was hatte er dann mit diesen Papieren zu schaffen gehabt?
    »Hier bei mir find ich nix, Miss«, meldete Cuff von der anderen Zimmerseite.
    »Nein, ich auch nicht«, erwiderte Mary, »aber schauen Sie bitte weiter.« Konnte ihr Onkel die Papiere weitergegeben haben, ohne ihren Inhalt zu kennen? Möglich war es, aber nicht sehr wahrscheinlich. Sie blieb stehen.Warum hatten sich die Papiere in White Ladies befunden? Es schien alles keinen Sinn zu ergeben.
    »Nun, Miss?«, fragte Cuff, und unterbrach damit erneut ihre Überlegungen.
    »Hm? Ja, tut mir leid, Mr. Cuff, aber ich bin jetzt fertig.« Sie atmete tief durch. »Wir müssen so rasch wie möglich nach Woolthorpe Manor fahren. Lassen Sie uns alles wieder aufräumen, und dann machen wir uns auf den Weg.«
    »Nach Woolthorpe , Miss?«
    »Ja. Ich muss sofort mit Mr. Somerville sprechen. Bitte beeilen Sie sich«, bat sie eindringlich, denn er stand vor lauter Staunen wie angewurzelt mitten im Raum.
    Er half ihr noch, die letzten Vorhänge wieder zuzuziehen, nahm seine Flinte und folgte ihr durch den Korridor nach draußen. »Nun, ich kann nicht …«, murmelte er. »Und was um alles in der Welt erzählen wir der Missis?«
    Mary setzte eine entschlossene Miene auf. Jedenfalls nicht dieWahrheit. »Wir werden … wir werden uns etwas ausdenken müssen«, erklärte sie, als sie die Tür wieder verriegelte.
     
    Von London nach Waltham Cross waren es nur zwölf Meilen, und der Regulator hielt sich exakt an den Fahrplan. Holland und Déprez stiegen im Four Swans aus. Der Wirt dort kannte Holland bereits von seinen früheren Besuchen in der nahe gelegenen Pulvermühle. Déprez gegenüber war er spürbar weniger freundlich und meinte sogar, passende Pferde seien rar, und man könne nicht einfach ankommen und erwarten, ohne Reservierung ein Pferd zu mieten. Im Voraus, versteht sich.
    Holland hätte mit ihm gestritten, aber Déprez wählte eine

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