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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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Feuer war schon fast heruntergebrannt, also legte Mary ein Scheit nach, denn es war nicht der Mühe wert, deshalb Peggy zu rufen. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie mit Überraschung ein zerlesenes Exemplar der Kommentare ihres alten Freundes Blackstone - oder zumindest einen Teil davon. Band eins stützte Humes Geschichte Großbritanniens im Bücherregal, die ziemlich unsicher am Kaminsims lehnte.
    Demnach hatten die Kommentare die ganze Zeit über auch in Lindham Hall gestanden, und sie hätte Mr. Déprez gar nicht damit belästigen müssen. Bilder aus der Vergangenheit zogen vor ihrem inneren Auge vorbei - Déprez’ bewundernder Blick, als sie ihm die entschlüsselten Texte vorgelegt hatte, und auch wie Captain Holland ihr in der Scheune die Hand gehalten hatte -, doch dann lenkte das Wort »Erbin« von Mrs. Tipton ihre Gedanken in eine weit unangenehmere Richtung. Immer noch stand die beunruhigende Frage nach dem Verlust von Hab und Gut im Raum, und Mary fragte sich düster, ob sie darüber nicht besser einmal nachlesen sollte. Möglicherweise wäre sie ja nun doch keine Erbin, und die unbekümmerten jungen Männer aus der Umgebung würden jemand anderem ihre Aufmerksamkeiten schenken. Sie suchte nach dem vierten Band der Kommentare, in dem vermutlich solche kriminellenTatbestände behandelt wurden, konnte aber nichts darüber finden.
    Band eins schien keine große Hilfe zu bieten, aber sie wollte eigentlich auch nichts über Verrat lesen. Stattdessen blätterte sie weiter auf Seite 217 zum ersten Satz, der als Grundlage für eine Entschlüsselung genommen werden musste, nämlich: ›Eine Queen dowager ist die Witwe des Koenigs.‹ Das hatte sie sich gut merken können … aber der Satz stand dort nicht.
    Sie ließ den Blick auf der Seite auf und ab gleiten, die Witwe des Königs tauchte hier jedoch überhaupt nicht auf. Seltsam. Sie blätterte zurück. Nichts. Und dann weiter vor, und da fand sie die Stelle endlich auf Seite 224: ›Eine Queen dowager ist die Witwe des Koenigs und als solche erfreut sie sich der meisten der Privilegjen, die sie als Gemahlin des Koenigs besass‹ . Stirnrunzelnd blätterte sie zu Seite 247. Der von der Mitte der Seite bis unten reichende Absatz musste anfangen mit ›Im Hinblick auf Zivilprozesse sind sich alle auslaendischen Juristen einig‹ , aber das tat er nicht. Jener Satz stand unten auf Seite 254. Und auf Seite 309 fand sie den Satz, beginnend mit ›Die anderen Abgaben‹ , der eigentlich auf Seite 299 oben stehen sollte.Was war da passiert? Sie erinnerte sich ganz genau an die Schlüsselzahlen. Wie konnten ihr dabei derartige Fehler unterlaufen sein?
    Sie dachte einen Augenblick nach. Vor ihr lag das Buch, das ganz klar bewies, dass ihre Entschlüsselung falsch war. Trotzdem hatte sie nicht das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben. Sie war sich sicher, dass die Seitenzahlen für den ersten Band 217, 247 und 299 lauteten, aber wenn sie diese Stellen in Mrs. Tiptons Kommentaren nachschlug, erhielt sie nicht die richtigen Sätze.Wie konnte das sein? … Sie blätterte zur ersten Seite des Bandes. Auf dem Titelblatt stand:
    WILLIAM BLACKSTONE, ESQ
VIERTE AUFLAGE
OXFORD
GEDRUCKT BEI CLARENDON PRESS
M.DCC.LXX
    Das erklärte alles. Die Seitennummerierung der einzelnen Auflagen stimmte nicht überein, vielleicht lag das auch daran, dass sie von verschiedenen Druckern stammten. Mrs. Tipton hatte die vierte Auflage, Mr. Somerville musste demnach eine andere erworben haben. Mary schlug den Band zu und saß mit dem Buch auf dem Schoß da. Ihr Onkel besaß wohl dieselbe Auflage wie Mr. Somerville, da er den Code entschlüsseln konnte.
    Und dennoch …
    Auf einmal durchfuhr sie ein seltsamer Schauder, als hätte sie etwas Wichtiges vergessen - nein, nicht vergessen, sondern überhaupt nicht daran gedacht.Woher wollte sie denn wissen, dass ihr Onkel den Code hatte lesen können? Was für ein Unsinn, schalt sie sich, natürlich konnte er ihn lesen. Schließlich hatte er ja die Dokumente. Er war der Mittelsmann, der die Papiere vom Spion an die Schmuggler weiterreichte.
    Und dennoch …
    Vor ihrem geistigen Auge sah sie die verschlüsselten Bögen, alle ordentlich mit Reihen von Großbuchstaben in Druckschrift beschrieben. Es gab also unterschiedliche Auflagen der Kommentare, und nicht alle eigneten sich dazu, um den Code zu entschlüsseln … Aber welche Auflage hatte ihr Onkel besessen?
    Mary stand so rasch auf, dass das Buch zu Boden glitt, noch bevor sie danach greifen

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