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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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Zwischendurch erklärte sie ihr, wie die Nachricht über das Unglück sie erreicht hatte. Es war in erster Linie Mrs. Oldworthy gewesen, die sie davon in Kenntnis gesetzt hatte. Mrs. Bamford war voll des Lobes für Marys Mut und ihre Güte.Wie beunruhigt sie gewesen waren! Nicht dass Ned Garrow nicht ein sehr zuverlässiger Mann wäre, aber eine junge Lady auf diesem einsamen Stück Landstraße … Man mochte gar nicht daran denken!
    Mary nahm dieses Lob höflich entgegen, aber sie konnte es nicht wirklich schätzen. Sie war erschöpft und besorgt über die Vorkommnisse auf der Stowmarket Road, und nun hörte sie Gesprächsfetzen, die alles andere als beruhigend klangen. Bei den Gästen des Great White Horse hatte der Unfall offenbar eine generelle Debatte über den Tod und lebensgefährliche Verletzungen losgetreten, und sie genossen ihre Schauergeschichten in vollen Zügen. Dicht bei der Theke hörte ein Pulk Männer verzaubert zu, als einer erzählte, er habe gesehen, wie ein Zigeuner von einem wild gewordenen Bullen zertrampelt worden sei. In einer Ecke behauptete eine ältliche Hebamme, sie habe ein Kind mit zwei Köpfen auf die Welt gebracht, und zwei Matrosen prügelten sich fast wegen der Frage, ob bei Ertrunkenen stets die Augen geöffnet blieben.
    Die erregten, neugierigen Gesichter bestürzten Mary. In dem trüben Licht sahen sie makaber aus, und die grellen, streitsüchtigen Stimmen verursachten ihr Kopfschmerz. Niemand von ihnen schien verstehen zu können, was geschehen war, und Mr.Treadgill und Mrs. Oldworthy, die sich aufgrund der Berichterstattung über den Zwischenfall verspätet hatten, waren mittlerweile jedoch längst nicht mehr da. Einen Augenblick lang zog Mary in Erwägung sich Mrs. Bamford anzuvertrauen, aber ihre lautstarke Ankündigung, der Operateur habe vorgeschlagen, Mr. Traceys Bein zu amputieren, wenn er am nächsten Morgen noch lebe, brachte sie davon ab. Sie fühlte sich schrecklich allein.
    Langsam verspürte Mary jedoch die Wirkung der Suppe und des heißen Getränks. Sie fühlte sich wohler, und obgleich die Zukunft immer noch ungewiss war, sah ihre augenblickliche Lage weniger düster aus. Auch die Konversation im Fremdenzimmer wendete sich allgemeineren Gegenständen zu: dem Krieg, den hohen Steuern und den Getreidepreisen. Pfeifen wurden angezündet, man bestellte eine weitere Runde Bier, und ein Einspänner nach Somersham fuhr ab. Als um neun die Kutsche aus Felixstowe eintraf, sah man im Raum wieder das für einen Herbstabend gewohnte Bild: verqualmte Luft und regungslos dasitzende Gestalten.
    Die Kutsche aus Felixstowe setzte einen einzigen Reisenden ab. Bevor dieser eintrat, grölte jedoch einer der jüngeren Bamfords: »Ein Offizier will wissen, ob er die Postkutsche nach Norwich verpasst hat«, und fuhr dann in derselben Lautstärke fort: »Mutter sagt, Sie haben sie nicht verpasst.Wollen Sie reinkommen? Wir haben Fischpastete, Hammelpastete oder Brot mit Käse.« Daraufhin trat ein großer, dunkelhaariger Mann in blauem Mantel ein und setzte sich vor den Kamin. Er streckte seine langen Beine aus und nickte Mary zu. »Abend, Miss.«
    Mary murmelte etwas zur Begrüßung. Das Wort »Offizier« hatte ihre Aufmerksamkeit geweckt, jetzt versuchte sie, ihn unauffällig zu mustern.Von der Haltung her könnte er beim Militär sein, dachte sie: Er war schroff und nüchtern. Jetzt, wo er neben ihr saß, machte sie weitere Einzelheiten aus. Sein Mantel war zwar ordentlich, aber abgetragen und ausgeblichen. Die Stulpen wiesen keine Borte oder anderweitige Verzierung auf, und seine Hände waren an den Knöcheln spröde und abgeschürft. Dies tat seiner Autorität aber keinen Abbruch. Ihr Vater hatte Soldaten immer für großmäulige, vulgäre Störenfriede gehalten, aber der Mann hier schien diesem Bild nicht zu entsprechen. Dann erinnerte sie sich daran, was Mr.Treadgill über die Marine gesagt hatte - Offiziere bei der Marine waren natürlich etwas ganz anderes.
    Sie wagte einen Blick in sein Gesicht. Besonders gut sah er nicht aus, entschied sie, und sein Gesichtsausdruck war weder warm noch einladend. Aber wie dem auch sei, sie konnte unmöglich eine Konversation mit einem völlig Fremden beginnen. Und was für einen Grund sollte sie nennen, wenn sie ihn ansprach?
    »Nun, was schlagen Sie mir zum Abendessen vor?«
    Mary fuhr hoch, als sie seine Stimme hörte. » Ich? Ich meine, wie bitte?«
    Er wiederholte seine Frage. »Fischpastete mag ich nicht«, erklärte er, »zu viele

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