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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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wusste, wie sie darauf reagieren sollte, schüttelte sie sie. Oder vielmehr fügte sie sich in seinen Handgriff, mit dem er ihre Hand umschlang und wie einen nassen Lappen auswrang.
    »Captain Holland«, sagte sie, nachdem sie ihre Finger wieder spüren konnte, »mein Name ist Miss Finch. Bitte verzeihen Sie mir, und ich hoffe, Sie werden mein Verhalten nicht für merkwürdig erachten, aber ich glaube, Mr. Tracey umgibt ein wichtiges Geheimnis.«
    Mary beugte sich hastig vor, als sie dies sagte, aber Captain Holland kräuselte die Stirn, als ob er nicht an Geheimnisse glaubte und sie sich irren müsse. »Aber ich dachte, Sie kennen diesen... Tracey gar nicht.«
    »Ja, vor dem Unfall«, wiederholte sie, »aber in seinem verletzten Zustand gab er Dinge von sich - warnte vor großen Gefahren -, die auch meinen Onkel betreffen könnten.«
    Captain Holland stand immer noch ein Fragezeichen auf die Stirn geschrieben: »Ihr Onkel?«
    »Vielleicht sollte ich von Anfang an erzählen.«
    »Wenn Sie mögen. Hätten Sie … etwas dagegen, wenn ich derweil mit dem Abendessen fortfahre?«
    »O ja, bitte«, sagte Mary, »ich meine, bitte essen Sie weiter.«
    Während der Captain das Brot in die Suppe tunkte, tauchte Mary in ihre Erzählung ein. Als sie davon sprach, »von Anfang an zu erzählen«, hatte sie nicht wirklich ganz von vorn gemeint, weil sie dann mit ihrer eigenen Geburt hätte beginnen müssen, aber es reichte nicht, wenn sie einfach sagte, sie habe am Morgen St. Ives verlassen und von da an fortfuhr! Damit wären die Fakten dieses Falls nicht einmal annähernd dargelegt, und es dünkte sie, dass Captain Holland, ohne Fakten zu kennen, keine große Hilfe wäre. Deshalb erklärte sie ihm, sie habe in ihrer Jugend nicht viele Verwandte gehabt: Nur ihre Eltern, und zusammen hatten sie eine Art Knabenschule betrieben.
    Holland belächelte die junge Frau ihm gegenüber, weil sie andeuten wollte, ihre Jugend sei längst vorüber, aber er fragte nur, was sie denn mit einer »Art von Schule« gemeint habe.
    »Nun, die Knaben waren noch sehr jung, und wir unterwiesen sie nicht zuvorderst schulmeisterlich, sondern zeigten ihnen, wie man das Schnupftuch benutzt oder vermeidet, das ganze Taschengeld auf einmal auszugeben. Die meisten von ihnen kamen, sobald sie etwas älter waren, auf eine Schule, zunächst jedoch mussten sie lernen, sich von der Mutter zu lösen.«
    »Und da haben Sie mitgeholfen?«
    »Ja, als ich alt genug war, um ihnen eine Hilfe zu sein und nicht mehr nur mit ihnen herumstritt. Die Knaben hörten gut auf mich, aber vor drei Jahren hatten wir einen schlimmen Winter. Mutter und Vater sind an der Influenza gestorben. Allein konnte ich die Schule unmöglich weiterbetreiben. Deshalb nahm ich eine Stelle als Lehrerin an der Schule von Mrs. Bunbury in St. Ives an.«
    »St. Ives in Cornwall?«
    »Nein, in Huntingdonshire. Es war … Nun, ich sollte nicht klagen, ich hatte viel Glück, überhaupt eine Anstellung zu finden, und es gibt vermutlich üblere Orte als Mrs. Bunburys, aber …«, Mary runzelte etwas die Stirn, »ich höre lieber auf, sonst werde ich bestimmt undankbar klingen. Auf alle Fälle erhielt ich vorgestern einen Brief von meinem Onkel, in dem er mich bat, ihm meine Aufwartung zu machen. Das war sehr aufregend für mich, weil ich noch nie zuvor etwas mit ihm zu tun gehabt hatte.«
    »Woher wusste er, wo Sie leben?«, fragte Holland.
    »Das wusste er gar nicht. Der Brief war an unsere Adresse in Bath adressiert, und jemand hatte ihn mir mit einiger Verspätung zu Mrs. Bunbury nachgeschickt.«
    »Hm.«
    »Mein Onkel lebt in Suffolk, in der Nähe eines Orts namens Lindham. Dort hat er ein Gut, das White Ladies heißt. Ich habe mich darüber in Carys Atlas kundig gemacht, und demnach scheint es ganz prachtvoll zu sein. Natürlich wollte ich sein Angebot auf der Stelle annehmen.«
    »Das klingt so, als ob Sie einen ganzen Tag brauchten, um eine Entscheidung zu treffen.«
    Mary lächelte impulsiv. »Nein, ich brauchte einen Tag, um den Mut zu finden, Mrs. Bunbury davon in Kenntnis zu setzen! Und gewiss«, sie zuckte mit den Achseln, »hätte ich … ihm geschrieben, wenn sein Brief nicht mehr als einen Monat unterwegs gewesen wäre, und ich wollte nicht undankbar erscheinen. Und Mrs. Bunbury verstand das auch … am Ende.«
    »Da sind bestimmt die Fetzen geflogen, oder?«, fragte Holland lachend.
    »Nein, nein«, insistierte Mary, »wenngleich sie eine durchaus tragende Stimme hat. Ich sagte ihr, ich müsse

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