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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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Sie nichts, bis ich zurückkomme.« Und mit einem Blick auf den Kutscher fügte er hinzu: »Und versuchen Sie, nicht wie ein verdammter Constable dreinzuschauen.«
    »Aber Mr. Hudson hat gesagt...«
    »Machen Sie, was ich sage, Mann, oder Sie riskieren mehr als einen Verweis von ihm!«
    Déprez schaute sich vorsichtig auf der Straße um. Auf den ersten Blick schien sie leer zu sein, doch als sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, nahm er einen - nein zwei - Schatten wahr, die sich nach und nach als männliche Gestalten entpuppten. Hudson ließ es wirklich nicht darauf ankommen. Déprez lächelte schief, dann überquerte er die Straße.
    In einigen Gebäuden brannte Licht, und aus einem hörte man leises Klavierspiel. Diesem Haus näherte sich Déprez und betätigte den Türklopfer erst einmal, danach zweimal schnell hintereinander. Kurz darauf öffnete sich die Tür, goldener Lichtschein fiel auf die Straße und tauchte den Besucher für jedermann sichtbar in helles Licht. Déprez wechselte ein paar Worte mit dem Diener und war sich dabei stets der Schritte bewusst, welche sich ihm irgendwo von hinten auf der Straße näherten. Das schwere, bedächtige Stapfen kam näher und immer näher, entfernte sich dann aber wieder. Der Diener gab den Weg frei, Déprez trat ein, und die Tür schloss sich gleich wieder hinter ihm.
    In der Orchard Street war es ruhig, besonders nach dem Tohuwabohu auf der Oxford Street. Das Klavierspiel konnte man deutlich hören, jemand spielte eine Passage, wiederholte sie und spielte sie ein drittes Mal, als ob er üben würde oder eine Klavierstunde erhielte. Kein anderes Geräusch, noch nicht einmal ein kalter Lufthauch, durchbrach sonst die Stille. Nach einigen Minuten traten Tonleitern an die Stelle von Musikstücken. Draußen rutschte der Kutscher auf seinem Bock hin und her. Dann öffnete und schloss sich die Tür abermals. Diesmal blieb es dunkel, aber zwei Figuren schlichen die Vordertreppe hinab und entfernten sich vom Haus. Am Griff der Droschkentür wurde gedreht, erst nach links, dann nach rechts. Die Tür öffnete sich, und der erste Mann stieg ein. Ob seines Gewichts schwankte das Fahrzeug unangenehm.
    Im Schein der Lampe blieb Déprez mit aschfahlem und angespannt wirkendem Gesicht auf dem Tritt stehen und flüsterte nach oben zum Kutscher: »Langsam jetzt. Sie wissen, wohin es gehen soll, aber verlieren Sie um Gottes willen nicht den Kopf.« Dann kletterte auch er in die Droschke.
     
    Seine Anspannung erlaubte es Hudson nicht, sich längere Zeit ruhig zu verhalten. Kurz nach der Ankunft seiner Droschke am vereinbarten Treffpunkt kletterte er aus dem Wagen und ging auf und ab. Sie waren weit in den Park hineingefahren und unter Bäumen zum Stehen gekommen. Seine Schritte erzeugten auf dem feuchten, laubbedeckten Gras kaum Geräusche. Nach einigen Minuten gesellten sich die anderen zu ihm. Mary hatte Bedenken, in ihrer Abwesenheit könne etwas passieren, und die Constables konnten nicht gut bequem sitzen bleiben, während ihr Chef sich dies versagte. Die Droschke war eigentlich nicht sonderlich bequem, aber das machte für sie keinen Unterschied.
    Das Warten war unter freiem Himmel jedoch noch schwerer zu ertragen; die Kälte kroch unerbittlich durch die Schuhe empor und fiel dann wie aus einer Nebelschwade herab; und bei jedem Geräusch mussten sie sich anstrengen, um herauszuhören, ob es eine herannahende Droschke ankündigte.Während sie sich unter dem Mantel die Arme rieb, dachte Mary an ihre überstürzte Abreise aus Lindham Hall und an den Hut und die Handschuhe, die sie dort zurückgelassen hatte. Gott sei Dank hatte sie ihre alten Stiefel getragen, als sie nach White Ladies aufgebrochen war - sie mochten schäbig aussehen, doch wenigstens waren sie warm.
    »Ich wünschte, die würden sich ranhalten«, beschwerte sich einer der Constables und stampfte mit den Füßen.
    »Ruhe«, fauchte Hudson. »Wie spät ist es?«
    »Es ist fast Viertel vor neun, Sir«, antwortete der Constable, im selben Augenblick, als Mary rief: »Er hat meine Uhr!«
    »Was?«
    »Mr. Déprez - er hat sich die Uhr meines Onkels angesehen und sie mitgenommen!«
    »Ja, nun, er ist eben ein aalglatter Geselle«, stellte Hudson fest, »aber machen Sie sich mal keine Sorgen, Miss Finch, wir werden Ihre Uhr schon wiederkriegen.« Hudson seufzte bei dem Versuch, mehr Zuversicht aufzubringen. Er hoffte, Déprez wusste, was er tat, und wäre vertrauenswürdig. Der Plan schien einfach zu sein,
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