Miss Mary und das geheime Dokument
Holland können Sie mir überhaupt nichts nachweisen, und ohne meine Hilfe werden Sie ihn niemals lebend bekommen.« Als Hudson nichts erwiderte, fuhr Déprez fort: »Bis vor fünf Minuten wollten Sie nichts dringlicher, als ihn festnehmen. Eigentlich sollten Sie das immer noch wollen. Er könnte schuldig sein - ein gefährlicher Spion.«
»Nicht mehr als Sie, wette ich.«
Déprez wusste, er konnte sich kein Lächeln leisten. Doch so groß war seine Eitelkeit nicht, und Hudson war kein völliger Narr. Deshalb gab er sich mit einem Achselzucken zufrieden. »Andererseits könnte er auch unschuldig sein. In beiden Fällen ist es jedoch gut, seiner habhaft zu werden. Entweder ist er schuldig - und Sie können ihn hinrichten -, oder er ist unschuldig, dann haben Sie ihn gerettet.«
Hudson blieb stumm, und Mary musste sich auf die Zunge beißen, um zu verhindern, dass sie etwas sagte. Wie konnte er nur zögern? Sie mussten versuchen, Captain Holland zu befreien, und wenn es dafür erforderlich war, Mr. Déprez zu vertrauen, nun, dann mussten sie das eben tun. Sie hob an zu sprechen, doch Hudsons versteinerter Gesichtsausdruck ließ sie verstummen. Ein Ratschlag, selbst ein sehr guter, würde in diesem Moment vielleicht nicht gut aufgenommen werden.
Der Moment verging, doch nichts geschah. Déprez wusste, was Mary dachte, gerade so, als hätte sie ihre Gedanken ausgesprochen. Bei Hudson war er sich dagegen nicht so sicher. Der Mann verstand sicherlich die Lage, und er konnte das Für und Wider abwägen, möglicherweise hatte er jedoch aufgrund seines Pflichtbewusstseins Skrupel. Und das konnte alles verderben.
»Ich mache keine Geschäfte mit Schurken«, warnte Hudson zu guter Letzt, »aber … nun, ich nehme mal an, Sie haben einen Plan?«
Innerlich stieß Déprez einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. »Ja, wie es der Zufall will, habe ich einen Plan. Es ist ganz einfach. Ein paar Ihrer Leute können mich ein gutes Stück des Weges begleiten - so weit, wie ihre Anwesenheit keine Gefahr darstellt. Ich werde Holland zum Hyde Park bringen, wo Sie warten. Dort übergebe ich ihn in Ihre Obhut und verabschiede mich.«
Beide Männer wussten, dass dieser Vorschlag zurückgewiesen werden würde. Deshalb begannen sie zu verhandeln. Mary beobachtete das Gespräch, ohne zu ahnen, wie es ausgehen würde. Déprez glich einem immer noch überaus wilden Tier, das auf den ersten Blick ruhig anmutet, sich der Nähe der Falle jedoch durchaus bewusst ist. Hudson, der Jäger, war unsicher, ob er die Beute mit seinem Stoß zum Wimmern oder zum Zuschnappen bringen würde. Schlussendlich kamen sie doch zu einer Übereinkunft: Einer von Hudsons Männern sollte Déprez bis in die Orchard Street begleiten, sich dort außer Sichtweite halten und nicht eingreifen, um später dann Déprez und Holland zum Hyde Park zu eskortieren.
»Und es muss nachts über die Bühne gehen«, mahnte Déprez. »Wenn Sie wollen heute Nacht, aber mein Tun darf nicht irgendwie … seltsam anmuten. Ihn am helllichten Tage von dort wegzubringen, wäre zu gefährlich. Wenn ich dies vorschlüge, würden die Häscher misstrauisch werden.«
»Aber Sie haben sie unter Kontrolle«, konterte Hudson unverblümt. »Sie können sie dazu bringen zu tun, was Sie ihnen sagen.«
Déprez zuckte bescheiden mit den Achseln. »Ich denke, ich kann das gewünschte Ergebnis erzielen, wenn man mich nicht durch unvernünftige Bedingungen behindert.«
Als Hudson mit einem Nicken widerwillig seine Zustimmung gab, blickte Déprez zunächst ihn und dann Mary an. »Ich habe noch eine weitere Bedingung: Miss Finch muss ebenfalls anwesend sein.«
»Was? Sind Sie verrückt?«, wütete Hudson. »Vollkommen unmöglich! Das ist viel zu gefährlich! Davon will ich nichts hören.«
Die Männer fingen erneut an zu disputieren, aber jetzt glaubte Mary, einen anderen Tonfall herauszuhören. Déprez schien Hudson zu verspotten, da er andeutete, man könne sich ohne einen vertrauenswürdigen Zeugen wie Mary nicht auf ihn verlassen, und sie fragte sich, ob das wohl eine neue Arglist war. Sie konnte sich nicht vorstellen, was Déprez davon hätte, wenn er seinen Handel mit Hudson aufgäbe. Aber sie vertraute ihm auch nicht genug, um es darauf ankommen zu lassen. Er sah zu zufrieden aus, während Hudson vor lauter Aufregung fast neben sich stand.
»Und dann wäre da noch der praktische Teil«, gurrte Déprez.
»Der da wäre?«
Jetzt sprang Mary in die Bresche. »Ich kann Captain Holland
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