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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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solch einer Nacht überhaupt ein Auge zutun?«, hauchte Mary. »Wenn Sie sie um das Feuer herumschleichen hören oder sehen konnten?«
    »Viel geschlafen habe ich sicher nicht.«
    Dann war es an der Zeit aufzubrechen. Mary lief noch mehrmals zur Küche. Einmal wurde sie gewahr, wie Holland herumräumte, vermutlich brachte er ihr Gepäck zu den Ställen. Dies veranlasste sie, über das unlogische Verhalten von Männern zu sinnieren, die keinen einzigen Gedanken daran verschwendeten, die Laken wieder über die Möbel zu drapieren, aber darauf bestanden, die Tasche einer Frau zu tragen. Dies ließ sie geradewegs zu den Gefahren ihrer unmittelbar bevorstehenden Reise kommen, denn Holland hatte wiederholt erklärt, sie würde auf dem Pferd reiten. Vielleicht war das aber doch gar nicht so schlimm. Schließlich lief Captain Holland zu Fuß neben dem Pferd her, und es war bestimmt schwierig, vom Pferd zu fallen, solange es nur im Schritttempo lief.
    Bevor sie den Mantel anzog und ihren Hut aufsetzte, beschloss sie, noch einen letzten Blick in die Bibliothek zu werfen. Vielleicht deutete dort irgendetwas auf den Advokaten ihres Onkels hin. Erst als sie vor dem Schreibtisch ihres Onkels stand, überkam sie zum dritten Mal dieses beängstigende Gefühl. Als sie Schritte hörte, die sich auf dem Korridor näherten, tadelte sie sich streng. Das war sicher nur Captain Holland, der sie holen und fragen wollte, warum sie so lange brauchte.
    Sie drehte sich um, doch vor ihr stand nicht der Captain.

6
    Im Lichtkegel, den Marys Kerze warf, war er gerade so erkennbar: Konturen, die durch das Flackern der Flamme verschwammen und dann wieder sichtbar wurden. Sie erkannte einen Mantel, blinkende Silberknöpfe an einem Ärmel und ein wohl weißes Vorhemd. Und er war groß, mit Sicherheit ein Mann, kein Junge.
    »Wer … Wer sind Sie ?«, fragte Mary, wobei die Überraschung ihrer Stimme mehr Kraft verlieh, als sie empfand. »Was wollen Sie?«
    »Ruhe«, befahl der Mann ihr und kam auf sie zu. Eine lederne Maske und ein dunkles Tuch verbargen seine Gesichtszüge, aber sein selbstbewusster Schritt verriet Autorität und Entschiedenheit. Das Poltern seiner schweren Schuhe auf den polierten Dielen war ihm egal. Er gestikulierte kurz und schroff und schnippte lautlos mit den Fingern. »Komm her, Kleine.«
    Diese anmaßende Art hatte eine unerwartete Wirkung auf Mary. Sie stand nicht länger unter Schock, sondern verspürte eher Wut als Furcht. Was beabsichtigte dieser Kerl damit, ihr im Haus ihres Onkels zu sagen, was sie tun solle? Sie dachte mitnichten daran, seiner Aufforderung Folge zu leisten, und gab ihm dies auch zu verstehen. Mit der Wut kehrte auch die Vernunft zurück. Während er sich ihr weiter näherte, wich sie nun vor ihm zurück. Der Schreibtisch blieb zwischen ihnen. »Kommen Sie nicht näher«, warnte sie ihn. Mit den Händen suchte sie nach etwas, mit dem sie sich verteidigen konnte. Einen Briefbeschwerer … warf sie nach ihm. »Bleiben Sie weg.«
    Er trat einen Schritt zur Seite, um dem Wurfgeschoss auszuweichen, und sobald sie ihn einen Augenblick ablenken konnte, pustete sie die Kerze aus. Mary bewegte sich jetzt auf allen vieren und klatschte dabei auf den Fußboden, damit es sich anhörte, als renne sie weg. Indes kroch sie unter den Schreibtisch. Er fluchte leise vor sich hin, und Mary hörte, wie er rasch nach links ging, um ihr den Weg zum Korridor zu versperren. Und jetzt , dachte sie bei sich, weißt du nicht mehr, wo ich bin .
    Marys Herz schlug zwar heftig, aber Angst hatte sie noch immer keine. Sie war sich nicht einmal bewusst, dass sie geplant hatte, was sie tat. Rein instinktiv war ihr eher danach, zu handeln als regungslos zu verharren. Der Fremde ging noch ein paar Schritte ziellos umher, dann blieb er stehen und schien zu überlegen.
    »Komm her, Kleine, und verschwende nicht meine Zeit«, knurrte er. »Ich fang dich sowieso ein, keine Angst, und je länger es dauert, desto schlimmer wird’s für dich.«
    Geschützt unter dem Schreibtisch, fing Mary nun doch an, fieberhaft nachzudenken.Was sollte sie tun? Natürlich musste sie aus dem Raum kommen. Ihm käme sicher bald die Idee, dass er sie nur hier drin einschließen und mit einer neuen Kerze wiederkommen musste. Dann fragte sie sich, ob er wirklich so schlau war, denn er drängte sie abermals, zu ihm herzukommen. Er würde ihr nicht wehtun, versprach er mit übertrieben sanfter Stimme. Sie brauche keine Angst zu haben.
    Entweder ist er ein Narr, oder

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