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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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Der Mantel des Captains war mittlerweile völlig durchnässt und sah schäbig aus. Der Spiegel reichte nicht so weit, dass sie ihren dreckigen Rock oder die schmutzigen Hände hätte sehen können, aber ihre Erschöpfung war durchaus sichtbar. Instinktiv streckte sie den Rücken und versuchte, frohgemut dreinzublicken oder zumindest nicht wie jemand, der den Tränen nahe war.
    Da sie sich nun des Zustands ihrer Kleidung peinlich bewusst war, dachte Mary, während sie Peggy in das Empfangszimmer folgte, ihr müsste, wie Prince, verboten werden, auf dem Sofa zu sitzen. Glücklicherweise hatte Holland keinerlei Skrupel, denn er führte sie zu einem Sessel nahe am Kamin, wo Peggy gerade ein Feuer anzündete. Mary nahm vorsichtig Platz und wandte sich ihrem Begleiter zu. Seine weiße Kniehose war schmutzig und mit Schlamm bespritzt, aber was Mary einen erschreckten Ausruf entlockte, war sein Anblick: Er hatte tiefrote Kratzer und Schnitte auf der Stirn sowie dem rechtenWangenknochen, und sein Vorhemd war voller Blutspritzer.
    »Captain Holland! Sie sind schwer verletzt. Ich dachte … Bitte,« wandte sie sich an Cuff, der sich auf einem Stuhl gleich bei der Tür niedergelassen hatte. Prince, ein riesiger drahthaariger Hund, lag zu seinen Füßen. »Könnten wir etwas Wasser bekommen?«
    Holland runzelte die Stirn und schüttelte leicht den Kopf, aber sie beachtete ihn gar nicht.
    »Ich denk mal, er will was Stärkeres als Wasser, Miss«, meinte Cuff gut gelaunt. »Aber da warten wir wohl besser, bis die Missis runterkommt.«
    Wenig später kündigte ein langsames, behutsames Klackern auf den Stufen und in der Eingangshalle ihre Ankunft an. Mit gereizter Stimme schalt sie die Hunde, die keinen Zutritt in das zweite Empfangszimmer erhalten hatten: »Pass auf«, »Geh zur Seite«, und »Runter«. Als er diese Stimme hörte, stand Prince von allein auf, zog sich in eine Ecke zurück und drapierte seinen Schwanz sicherheitshalber um sich herum.
    Mrs. Tipton war eine kleinwüchsige ältliche Frau, die sich auf zwei Stöcke gestützt schwankend fortbewegte. Wie sie da so gebrechlich durch das Empfangszimmer tappte, kleiner als alle um sie herum, schien sie noch nicht einmal einem harschen Wort oder einer sanften Zugluft standhalten zu können. Nachdem sie sich aber in ihrem Lieblingsarmsessel niedergelassen hatte, vollzog sich eine Wandlung. Durch Brillengläser blickten Mary und Holland nun dunkle, funkelnde Augen forschend an, und ihre ordentliche, nüchterne Erscheinung in einem schwarzen Morgenrock aus Seide mit einer Spitzenhaube verlieh der alten Dame einen klaren moralischen Vorteil gegenüber ihren ungepflegt aussehenden Besuchern. Die beiden Stöcke vor sich gekreuzt wie ein Paar Zeremonienstäbe schritt sie nun zur Inquisition.
    Zunächst einmal musste sie davon überzeugt werden, dass Mr. Finch überhaupt eine Nichte besaß, denn sie wusste davon nichts. »Hm. Sie sehen ihm nicht ähnlich, aber das ist ja auch egal. Und was hat dieser Bursche mit Ihnen zu schaffen?« Sie nickte in Hollands Richtung. »Wie, sagten Sie noch, war Ihr Name?«
    »Holland, Ma’am.«
    »Was? Aber doch nicht einer von diesen schrecklichen Whigs?«
    »Nein, Ma’am. Mit Lord Holland bin ich nicht verwandt.«
    Mrs. Tipton betrachtete ihn daraufhin noch einmal. »Nein, natürlich nicht«, stimmte sie in einem Ton zu, der ihn erröten ließ.
    »Aber Hollands … Ich hoffe, Ihre Familie hat nichts mit dieser Gindistille zu tun.«
    Mary entsann sich sofort wieder ihrer ersten Konversation mit Captain Holland und wie vertrauensvoll sie ihm Mrs. Oldworthys Kräuterelixier gezeigt hatte. Er schien das Gleiche zu denken, denn er blickte kurz zu Mary herüber. Doch sein Gesichtsausdruck blieb unverändert, und er antwortete Mrs.Tipton in seiner üblichen kurz angebundenen Art. »Nein, Ma’am, nichts dergleichen.«
    »Aber warum streunen Sie dann mit dieser jungen Person herum, klopfen mitten in der Nacht an meine Tür und versetzen mein Gesinde in Todesangst? Wenn die Regierung uns so vor den Franzosen retten will, halte ich davon rein gar nichts.«
    »So lassen Sie mich doch erklären …«
    »Das will ich doch hoffen. Sie sehen aus, als hätten Sie schon einige Gefechte hinter sich. Lassen Sie ihn reden«, riet sie Mary, der überhaupt nicht der Gedanke gekommen war, die beiden zu unterbrechen. »Männer können für gewöhnlich besser erklären als Frauen oder glauben es zumindest, und man muss ihnen ihren Willen lassen, wenn man seine Ruhe haben

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