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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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Unten war alles dunkel, aber durch die oberen Fenster schien Licht.
    »Ist das Lindham Hall?«, flüsterte Mary.
    Holland stieg ab. »Wenn nicht, geht das hier genauso gut.« Er hob sie aus dem Sattel, und ganz zaghaft machte sie ein paar Schritte. Neben ihrem Halsweh und den wunden Handgelenken fühlte sie sich an Stellen steif und unwohl, die sie lieber nicht benennen wollte.
    Sein kräftiges Klopfen an die Eingangstür sorgte drinnen sofort für Aufruhr: Mehrere Hunde bellten, aber es war auch eine ältliche Frauenstimme zu hören, die rief: »Cuff! Mr. Cuff!« Die Hunde bellten indes unablässig weiter, bis eine andere Stimme, diesmal eine männliche, sie harsch zurechtwies. Dann blieb es ruhig, bis dieselbe Stimme erneut zu vernehmen war: »Gut, halt sie ruhig, Peggy.« Dann wurde die Tür entriegelt und ging auf.
    Aus dem Lichtkegel trat ein grauhaariger, stämmiger Mann in Nachthemd und Mantel, der mit einer altmodischen, aber funktionstüchtigen Donnerbüchse auf sie zielte. Zwei der Hunde drängten sich knurrend an ihm vorbei nach vorn, während hinter ihm auf den Stufen eine pummelige Magd mittleren Alters, ebenfalls im Nachthemd, mit weit aufgerissenen Augen stand und eine brennende Laterne schwang.
    »Was wollen Sie?«, fragte der Mann.
    »Bitte entschuldigen Sie, dass wir alle geweckt haben«, sagte Holland. »Mein Name ist …«
    Noch bevor Holland seinen Satz beenden konnte, hörte man eine gereizt klingende Frauenstimme von drinnen rufen: »Sind es Zigeuner, Mr. Cuff? Dann lassen Sie die Hunde auf sie los.«
    Daraufhin knurrten die Hunde noch etwas drohender.
    »Ruhig«, befahl Cuff, und mit einem Kopfnicken zu Holland sagte er: »Fahren Sie fort.«
    »Mein Name ist Captain Holland vom Artillerieregiment seiner Majestät, und ich muss Sie bitten, Ihren Herrn oder Ihre Herrin zu wecken.«
    »Was machen Sie denn da unten, Mr. Cuff?«, war abermals die Stimme zu hören. »Warum um Himmels willen reden Sie mit Zigeunern?«
    »Aber das haben Sie doch auch schon gemacht«, entgegnete Cuff und rief nach hinten: »Sind keine Zigeuner, Missis.«
    »Unsinn, natürlich sind es welche. Wer ist da?«
    »Einer vom Militär. Captain Hol …«
    » Holland . Und diese junge Dame«, übernahm der Captain das Wort und hob dabei seine Stimme, damit man ihn auch oben auf der Treppe noch hören konnte, »ist Miss Finch, die Nichte von Mr. Edward Finch! Wir hatten einen Unfall auf White Ladies!«
    » Ist das Mr. Finchs Nichte, Mr. Cuff? Was hat sie denn mit der Armee zu schaffen?«
    »Das kann ich Ihnen auch nicht sagen, Missis«, rief Cuff und sah die beiden Besucher prüfend an, »aber dass sie einen Unfall hatte, steht fest.«
    »Peggy! Komm auf der Stelle nach oben.«
    »Hey, Peggy«, befahl ihr nun auch Cuff, »schau dir die beiden genau an, und beschreib sie dann der Missis. Die Laterne lass mal hier.«
    Peggy kam schüchtern herunter. Sie betrachtete Mary und Holland kurz und ein wenig misstrauisch, dann setzte sie die Laterne auf einer Anrichte neben der Tür ab und verschwand nach oben. Während ihrer Abwesenheit behielt Cuff seine furchteinflößende Haltung bei. Einer der Hunde drängelte sich an ihm vorbei auf die Veranda und schnüffelte in Richtung der Fremden. Ein paar Minuten später war Peggy mit ihren Pantoffeln wieder auf der Treppe zu hören, und sie stellte sich im Eingang neben Cuff. »Mrs. Tipton sagt, Sie sollen in das zweite Empfangszimmer gehen. Sie wird gleich zu Ihnen kommen. Sie, Mr. Cuff, sollen den Gaul in den Stall bringen und ihm Futter geben, aber danach sollen Sie schnell wieder reinkommen, ohne zu bummeln. Und bringen Sie Prince mit, aber er darf nicht auf die Sitzmöbel.«
    »Jawohl. Ein Befehl nach dem anderen«, seufzte Cuff, ließ seine Waffe sinken und trat beiseite. »Dann zeig den Herrschaften den Weg, Peggy. Ich bin im Nu zurück. Und du kannst Feuer machen.«
    »Eins nach dem anderen, Mr. Cuff, eins nach dem anderen«, beklagte sich Peggy, die gerade damit beschäftigt war, die Kerzen anzuzünden. »Hier entlang bitte, Miss.«
    Als Mary eintrat, sah sie einen getäfelten Flur vor sich, der jetzt von mehreren Wandleuchtern erhellt war, und rechts eine breite, auf Hochglanz polierte Treppe mit einem dicken, aber abgenutzten Läufer in der Mitte. Auf dem Boden lag ein ähnlicher Teppich, und links über der Anrichte hing ein Spiegel mit trübem Glas, welches indes deutlich verriet, wie wenig präsentabel Mary aussah: die Haare völlig durcheinander, das Gesicht schmutzverschmiert.

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