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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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wahr geworden - oder besser gesagt, es würde wahr werden. Mary merkte, wie sie zitterte, und blickte starr auf ihren Schoß. Sie wagte kaum aufzusehen oder zu sprechen. Nichts durfte diesen vollkommenen Moment stören.
    »Wie sieht es mit Schulden aus?«, wollte Mrs.Tipton wissen, als im Kamin ein Stück Kohle mit einem Zischen verglühte.
    »Unerheblich, Ma’am. Wie Sie sicher bereits vermutet haben, Miss Finch, bin ich Mr. Finchs Testamentsvollstrecker, und in dieser Eigenschaft muss ich die Bestimmungen seines Letzten Willens ausführen. Ich würde mich zwar glücklich schätzen, Ihnen in jeder Hinsicht behilflich zu sein, aber ich empfehle Ihnen dringend, sich von anderer Seite einen Rechtsbeistand zu nehmen, da Ihr rechtlicher Status in gewisser Hinsicht vollkommen losgelöst vom Testament ist und andererseits auf einer Unzulänglichkeit des Testaments basiert. Verstehen Sie, was ich meine?«
    Sie nickte. »Ja, Sir. Wenn Sie mich rechtlich beraten, könnte das Ihre eigene Position in Bezug auf meinen Onkel in ein falsches Licht rücken.«
    »Genau. Mrs.Tipton vertraut, wie ich weiß, ihre rechtlichen und geschäftlichen Angelegenheiten Mr. Brownlowe aus Bury St. Edmunds an …«
    »Das stimmt.«
    »… und ich kann ihn auch als einen äußerst sachkundigen, verlässlichen Kollegen empfehlen. Mr. Brownlowe oder aber jemand mit seiner Kompetenz könnte sowohl die erforderlichen Nachweise für Ihren Status als nächste Angehörige beibringen als auch den Antrag auf einen Erbschein für Sie stellen.«
    Mary bemühte sich darum, ernst zu blicken, aber immer wieder aufs Neue drängte sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Sie runzelte die Stirn, um jedem Eindruck von Unernst entgegenzuwirken, und sagte, sie würde sich umgehend mit Mr. Brownlowe in Verbindung setzen.
    »Eine kluge Entscheidung. Sobald ich die Bestätigung von Mr. Brownlowe habe, werden wir … uns zusammensetzen. Diese Art von Angelegenheiten können zwar nie so rasch gelöst werden, wie man es gern hätte, aber ich glaube sagen zu können, dass ich in diesem Fall keine großen Schwierigkeiten voraussehe.«
    »Danke«, sagte Mary mit ernster Miene und schüttelte dann den Kopf. »Ich bin … ich kann es kaum glauben.«
    Schließlich legte auch Mr. Todd sein steifes Auftreten ein wenig ab. »Nun ja, ich glaube, das wird Ihnen mit der Zeit alles etwas vertrauter. Jetzt möchte ich noch sagen …« Ein vorsichtiges Klopfen an der Tür unterbrach ihn. »Ah«, sagte er und nickte, »das ist sicher Mr. Sparrow vom Bankhaus Collier. Ich hatte ihn gebeten vorbeizuschauen.«
    Im Gegensatz zu Mr. Todds würdevollem Ernst sah Mr. Sparrow wie jemand aus, der ständig eine witzige Bemerkung auf den Lippen hat. Er war klein und kräftig, und sein Gesicht strahlte Fröhlichkeit und Jovialität aus, was durch seine leicht verrutschte Perücke noch unterstrichen wurde. Während der Sekretär noch einen weiteren Stuhl herbeischaffte, versuchte Mr.Todd seinen Geschäftsfreund mit einer Reihe von Blicken und Gesten auf seine schief sitzende Perücke aufmerksam zu machen. Diese waren jedoch so unspezifisch, dass der Bankier sie falsch deutete, und Mary musste um ein Haar laut auflachen. Mrs. Tipton sah darin einen weiteren Beweis für Mr. Todds mangelnde Seriosität, die sie ihm schon seit Langem unterstellte. Je eher Marys Angelegenheiten sicher in den Händen von Mr. Brownlowe aus Bury ruhten, desto besser.
    Nachdem man sich einander vorgestellt hatte, setzte sich Mr. Sparrow neben Mary. Dann zog er aus einer großen Ledermappe einen Stapel an Unterlagen heraus, welche er ihr schwungvoll überreichte. Dabei lächelte er sie an und blinzelte ihr hinter seiner Goldrandbrille zu.
    »Diese Unterlagen sollten Ihnen einen ungefähren Einblick in die Situation geben, Miss Finch. Wie Sie sehen werden, unterhielt Ihr Onkel kein sehr großes Konto bei uns; nur genug für den alltäglichen Bedarf. Ich würde mich glücklich schätzen, für Sie bei Coutts - seiner Londoner Bank - anzufragen, wenn Ihnen das hilft. Oder vielleicht wird Mr. Todd in Ihrem Namen tätig werden?« Er warf einen Blick zu dem genannten Gentleman hinüber und fuhr fort. »Ach, stimmt. Ich sollte den Dingen nicht vorgreifen. Bis zur Klärung der rechtlichen Frage, ob Sie tatsächlich Miss Mary Finch und damit berechtigt sind, das Erbe des verstorbenen Mr. Edward Finch anzutreten, können selbstverständlich weder das Bankhaus Collier noch irgendeine andere seriöse Bank Geld von einem seiner Konten

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