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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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Zuweilen äußerte sich dies in seinem Gefühl für Recht und Unrecht, zuweilen auch nur in seiner Einschätzung dessen, was möglich war und was nicht. Seine sture Beharrlichkeit hatte sich während seiner langen Laufbahn in der Regierung als wertvoll erwiesen, obgleich die Ergebnisse nicht immer erfreulich oder dergestalt gewesen waren, dass er sich damit rundherum wohl gefühlt hatte. Insbesondere in seinen letzten Berufsjahren verstärkte sich diese Empfindung. Aber, so sinnierte er oftmals, waren Nachgiebigkeit und Empfindsamkeit denn nicht gleichermaßen verhängnisvoll? Was hatten diese Eigenschaften Sophia letzten Endes gebracht, außer einem gebrochenen Herzen und einem frühen Tod?
    Sophia Armitage war Sir Williams Schwester. Unklugerweise hatte sie einen Mann namens David Holland geheiratet und damit keine gute Partie gemacht. Beide starben in jungen Jahren, und Sir William hatte ihren Sohn auf die Militärakademie nach Woolwich geschickt, da ihm dies als die richtige vorsorgliche Maßnahme für einen energiegeladenen Jungen ohne andere Perspektiven erschien. Bisweilen grübelte Sir William, ob dies eine kluge Entscheidung gewesen war. Eine Karriere bei der Artillerie - was für ein Leben war das? Zugegeben, die Kanoniere waren die Spezialisten in der Armee - die einzigen Offiziere, die man tatsächlich für ihre Aufgaben ausbildete und denen man es verwehrte, sich Ränge über ihren eigentlichen Kompetenzen zu erkaufen -, aber sie hatten auch weit weniger Möglichkeiten, sich auszuzeichnen als die »Amateure« in der Infanterie und der Kavallerie. Wer hatte denn schon einmal von einem Kanonier gehört, der das Kommando während einer Schlacht übernommen oder eine Stellung des Feindes erstürmt hatte? Nein, ihr Erfolg bestand eher darin, sich töten zu lassen, aber sie vollbrachten nur selten die Heldentaten, die in der Öffentlichkeit oder, noch wichtiger, bei der Regierung Anklang fanden.
    Und was war das Ergebnis? Sehr wenige wurden zum Ritter geschlagen, und die Zahl der Peers war noch geringer. Und wie viele Gentlemen der Artillerie - von denen nicht einmal alle Gentlemen waren - saßen gar als Parlamentsmitglieder im Unterhaus? Man brauchte kein Politiker zu sein, um zu erkennen, dass militärische Auszeichnungen einer Karriere förderlich waren, und ein Ehrentitel ließ seinen Träger in ganz unterschiedlicher Hinsicht so viel … geeigneter erscheinen. Man tat natürlich, was man konnte, machte seinen Einfluss geltend. Da war zum Beispiel Roberts Ernennung in den Regimentsstab. Eine ziemlich gute Stellung für jemanden, der jede Menge über Artillerie und Festungsbauten wusste und dem es nichts ausmachte, sich ins Jenseits befördern zu lassen, wenn etwas schiefging. Für so etwas brauchte man Mut und starke Nerven. Sir William versank ins Grübeln über Nerven, ihre Stärke und Langlebigkeit. Anscheinend wurden sie mit zunehmendem Alter schwächer, denn in jungen Jahren hatte er selbst eine gesunde Portion davon besessen, jetzt hingegen …
    Sir William nippte an seinem Portwein und kam zu dem Schluss, dass es ihm nicht guttat, nach dem Dinner allein herumzusitzen. Wenn man mit Gästen plauderte, sah das anders aus, aber ganz allein neigte er zum Grübeln. Das war nicht gut für die Verdauung. Und dieses Herumgrübeln war eigentlich vollkommen müßig. Robert schien ganz zufrieden zu sein, und die Artillerie war zumindest keine kostspielige Angelegenheit. Nicht auszudenken, was ein Offizierspatent in einem der begehrteren Regimenter gekostet hätte - und damit wäre es ja nicht getan gewesen, bei Weitem nicht! Degen, Offiziersgerte und Polierpaste kosteten allesamt einen Haufen Geld. Gott sei Dank war Robert keiner von dieser Sorte … Er sah einigermaßen glücklich aus oder zumindest zufrieden. Nein, er beklagte sich nie - nicht, dass er Grund dazu gehabt hätte. Es gab eine Menge junger Burschen, die es schlechter getroffen hatten als er. Und dennoch, mütterlicherseits war er ein Armitage, obgleich man das jetzt kaum noch für möglich gehalten hätte, so wie sich alles entwickelt hatte.
    Sir Williams Gedanken kreisten noch um dieses unangenehme Thema, als Jeffries, der Butler, neben ihm auftauchte. »Hm?«, murmelte Sir William und sah blinzelnd ins Kerzenlicht. »Miss Charlotte fühlt sich wohl allein gelassen, wie? Richten Sie ihr aus, dass ich gleich komme.«
    »Verzeihung, Sir«, entgegnete Jeffries und verbeugte sich steif. »Master Robert, also Captain Holland ist

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