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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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freigeben.«
    Mary erstarrte und wurde auf einmal von Panik ergriffen. Reich? Wie hatte sie nur glauben können, sie sei reich? Sie besaß keinen Penny, und was hatte Mr. Todd da eben noch über Verzögerungen gesagt? Schließlich war bekannt, dass rechtliche Angelegenheiten sich hinziehen konnten, und vielfach endeten sie nicht so, wie man erwartet hatte. Auf einmal hatte sie wieder die gewaltige Summe ihres Einkaufs bei Miss Cheadle vor Augen. Wie sollte sie diese Rechnung jemals begleichen? Und dann kam da noch das Geld für Mr. Todds Dienste hinzu … und vermutlich auch für Tee und Sandwiches. Sie hatte sich nicht nur in Schulden gestürzt, sie steckte bereits bis zum Halse darin. Man würde ihr auf die Schliche kommen und sie ins Gefängnis werfen, und was würden dann die Leute sagen?
    »In der Zwischenzeit sollte jedoch Ihre Kreditwürdigkeit beim Bankhaus Collier ausreichend sein, um alle erforderlichen Auslagen zu decken.«
    »Meine Kreditwürdigkeit?«
    »Nun, vielleicht sollte ich besser sagen, Mr. Somervilles und Mrs. Tiptons Kreditwürdigkeit.«
    Kein Ertrinkender hat wohl je eine größere Erleichterung verspürt als Mary in diesem Moment. »Oh, Mrs. Tipton …«, begann Mary mit ihren Dankesworten, aber die besagte Dame brachte sie mit einer majestätischen Handbewegung zum Schweigen und lenkte Marys Aufmerksamkeit wieder auf den Bankier. Mr. Sparrow war zwar ein Tölpel, aber normalerweise brachte er die Dinge zu guter Letzt stets wieder in Ordnung.
    »Sobald Ihre eigenen Angelegenheiten geregelt sind«, fuhr er fort, »wird das Bankhaus Collier sich geehrt fühlen, Ihnen einen Kredit zu gewähren, und zwar bis zu einem Limit von … ja, dort unten auf der Seite steht es.«
    »Ach du meine Güte«, staunte Mary und blickte überrascht zu ihm auf. Von der reichen Erbin zur Bettlerin und wieder zurück: All dies geschah so rasch; es war schwer, da noch folgen zu können.
    Er zwinkerte mit den Augen. »Nun, und was finanzielle Investitionen anbelangt, haben wir auf dem dritten Blatt - diesem hier - dargelegt, was die Bank längerfristig in Aussicht stellt, sollten Sie uns den Auftrag erteilen, für Sie tätig zu werden. Vor allem East India Anleihen werden sicherlich steigen, sobald es vom europäischen Festland gute Nachrichten gibt, aber der Getreidepreis wird angesichts des schrecklichen Wetters hierzulande und der landwirtschaftlichen Pachtzinsen … wohl hoch bleiben.« Er zuckte mit den Achseln.
    »Danke.« Mary nickte noch immer wie betäubt, aber sie versuchte, die relevanten Unterlagen zu sichten. Pachtzinsen und Kapitalanlagen … Sicherlich würde sie das alles sehr genau prüfen müssen - die erste verantwortliche Aufgabe ihres neu erlangten Wohlstands. »Das ist alles … sehr hilfreich.«
    »Ausgezeichnet«, erwiderte er strahlend, schloss seine Mappe und erhob sich. »Dann werde ich mich empfehlen. Je schneller ein Bankier arbeitet, desto mehr verdient er. Beim Anwalt ist es genau umgekehrt. Ihnen allen noch einen schönen Tag. Sehen Sie sich bei Gelegenheit die Unterlagen einmal genau an, Miss Finch, und wenn wir behilflich sein können, würden wir uns freuen, Sie im Bankhaus Collier begrüßen zu dürfen.« Daraufhin schüttelte er Mary zum zweiten Mal die Hand. »Fink und Spatz: Wo wir doch beide einen Namen aus dem Vogelreich haben, kann ein Mr. Sparrow doch nicht eine Miss Finch abweisen, nicht wahr?«
    Während Mary an diesem Abend ihren Tee trank und über den Kauf eines erlesenen Porzellanservices nachdachte, erreichte Captain Holland Storey’s Court, einen schmucken Landsitz etwa sechzig Meilen entfernt. Mit seiner Giebelfassade und den Flügelfenstern sah das Gut sehr reizvoll, wenn auch ein wenig altmodisch aus. Aufgrund dieser beiden Eigenschaften und auch der Tatsache, dass er hier aufgewachsen war, war das Anwesen dem derzeitigen Besitzer, Sir William Armitage, lieb und teuer. Als junger Mann hatte er Storey’s Court als Rückzugsort angesichts seines ruhelosen Lebens in London betrachtet, und nun, im Ruhestand, erfreute er sich an den vertrauten, behaglichen Räumen, dem schönen Ausblick auf den See und den umliegenden Park und nicht zuletzt am Park selbst. Er konnte sich ein viel prächtigeres Haus leisten, und Lady Armitage wusste auch von dem einen oder anderen noch reizvolleren Anwesen, das für ihre Bedürfnisse wie geschaffen wäre, aber Sir William ließ sich nicht überreden.
    Ein starker Charakterzug von Sir William war zweifelsohne seine Entschiedenheit.

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