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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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hindurch eine bekannte Stimme vernahm, erschrak sie allerdings.
    »Sind Sie das, Miss Finch?«
    »Oh … Guten Morgen, Mr. Déprez.« Sein plötzliches Auftauchen hatte sie aus wenig angenehmen Gedanken gerissen, jetzt gelang ihr jedoch ein müheloses Lächeln. Sie mochte Déprez, auch wenn sie ihn noch nicht so gut kannte, aber was sein Äußeres und seine Adresse betraf, gab es gewiss nicht das Geringste, was gegen eine nähere Bekanntschaft sprach. Nun fiel ihr obendrein noch auf, wie gut er aussah. Natürlich war ihr schon vorher sein angenehmes Äußeres aufgefallen, besonders seine warmen braunen Augen, die seine scharf gemeißelten Gesichtszüge zu mildern vermochten, aber für den Eindruck, den dieses Zusammenspiel bei ihr hinterließ, hatte sie noch keine Worte finden können.
    »Ja, ein wirklich angenehmer Morgen und eine erfreuliche Begegnung.« Er wollte gerade an seine Hutkrempe tippen, unterbrach die Geste jedoch, um vorsichtig zu fragen: »Hier wohnt doch Dr. Mallory, nicht wahr? Ich hoffe, in Lindham Hall sind alle wohlauf?«
    »Aber ja, uns geht es allen gut«, versicherte Mary ihm. »Ich habe mit Dr. Mallory über meinen Onkel gesprochen. Er war sein Leibarzt, müssen Sie wissen.«
    »Ja, selbstverständlich, und ich sollte nicht länger hier draußen mit Ihnen reden, sonst werden Sie auch noch seine Patientin. Wo haben Sie denn Mrs. Tipton gelassen? Darf ich Sie begleiten?«
    Er bot ihr seinen Arm, und diese Geste oder die kleine Verlegenheit darüber, eine Erklärung abgeben zu müssen, ließ sie stocken. »Nein. Ich danke Ihnen, aber das ist nicht nötig. Ich meine, Sie ist nicht hier. Ich bin allein hergekommen.«
    »Ach. Aber die Kutsche … Wo haben Sie …« Seine Überraschung war ihm am Gesicht abzulesen, aber gleichzeitig bemerkte er den Schalk, der plötzlich in ihren Augen aufblitzte. »Gewiss sind Sie aber doch nicht den ganzen Weg von Lindham aus zu Fuß hierhergegangen, Miss Finch, und ganz allein . Warum denn das?«
    »Warum denn nicht?«, erwiderte Mary, ihr Ton klang jedoch eher schelmisch als gekränkt. Eigentlich war sie erfreut darüber, ihn schockiert zu haben. »Es ist gar nicht so weit, und ich bin dazu allemal imstande. Ich habe während meiner Zeit in St. Ives häufig viel längere Strecken zu Fuß zurückgelegt.«
    Ihr Geplänkel und die Art, wie sie sich beim Sprechen zu voller Größe aufrichtete, erschienen ihm auf merkwürdige Weise liebenswert. Unwillkürlich änderte sich seine Stimmung. Er war nicht mehr nur höflich interessiert, sondern erfreute sich eher an ihrer Anwesenheit. »Ich zweifle nicht daran, dass Sie marschieren können, aber … ich wage zu behaupten, dies ist nicht die eigentliche Erklärung für dieses spezielle … Abenteuer.«
    »Nein?«, fragte sie ihn noch immer herausfordernd.
    »Nein.« Einen Moment lang dachte er nach. Dabei lächelte er. »Ich frage mich vielmehr, ob Sie nicht vor den wachsamen Augen von Mrs. Tipton auf der Flucht sind.«
    Nun war es an ihr, überrascht zu sein. »Woher wussten Sie das?«
    »Ich habe mich nur in Ihre Lage versetzt. An Ihrer Stelle würde ich mich ziemlich über ihre Beaufsichtigung ärgern. Nichtsdestotrotz«, fügte er noch hinzu, als sie den Mund öffnete, um zu protestieren, »frage ich mich, ob ein bisschen Umsicht in diesem Fall nicht klüger gewesen wäre. Haben Sie überlegt, was Sie sagen werden, wenn sie von Ihrem morgendlichen Ausflug erfährt? Glauben Sie, Sie können unbemerkt wieder ins Haus gelangen? Vielleicht gelingt Ihnen das ja. Aber Sie können nicht davon ausgehen, dass auf Ihrem Rückweg niemand Notiz von Ihnen nehmen wird, es sei denn, Sie wollen zwischen den Hecken herumkrabbeln. Einer der Passanten wird Sie zweifelsohne erkennen und sich fragen … Vielleicht ist dies ja schon geschehen.« Er warf einen verstohlenen Blick auf die Fenster von Ivy House. »Ich bin mir sicher, einer der Vorhänge in einem der oberen Zimmer hat sich gerade bewegt.«
    »Oje, meinen Sie wirklich? Ich sollte Dr. Mallory wohl besser einschärfen …«
    »Aber nein«, beschwichtigte Déprez sie lachend und legte ihr die Hand auf den Arm, um sie zurückzuhalten. »Entweder er ist ein ehrbarer Mensch - dann beleidigen Sie ihn, wenn Sie auch nur darauf zu sprechen kommen -, oder aber er ist es nicht. Dann wird ihn nichts davon abhalten, nach Gutdünken Gerüchte zu verbreiten.«
    »Das würde mir gar nicht gefallen, wenn man Gerüchte über mich verbreitete«, entgegnete Mary stirnrunzelnd, »und Ärzte kennen so

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