Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
Vom Netzwerk:
machten den Nachmittag zu einem äußerst zermürbenden Unterfangen.
    Mit besonderer Freude vermerkte Mary daher das Eintreffen von Mr. Déprez. Er war gekommen, um Mrs. Somerville abzuholen, aber als einziger Mann inmitten einer schnatternden Damenschar wurde er umgehend zum Bleiben gedrängt. Mary beobachtete ihn, wie er mit jeder der Damen eine ungezwungene, höfliche Konversation führte und interessiert ihre - von geziertem Lächeln und Kichern begleiteten - Entgegnungen verfolgte. Eine der Damen hielt ihn sogar am Arm zurück, als er aufbrechen wollte. Wie albern manche Frauen sich doch benehmen, wenn ein Mann in der Nähe ist, dachte Mary, aber auch ihr eigenes Herz flatterte spürbar, als er durch den Salon auf sie zusteuerte und sich zu ihr und dem Teegebäck gesellte. Dorthin hatte sie sich unter dem Vorwand geflüchtet, helfen zu wollen.
    Ihm fiel auf, dass sie, gemessen an der Abscheulichkeit, die sie bei ihrer gemeinsamen Fahrt nach White Ladies getragen hatte, ein weitaus reizvolleres Kleid anhatte, als er in ihrem Besitz vermutet hätte. Damals bei ihrem Eintreffen in Woodbridge hatte er allerdings wohlwollend angenommen, sie habe ihre Kleidung wegen des schlammigen Weges gewählt. Heute jedoch trug sie ein schlichtes, aber gut geschneidertes Kleid aus schwarzem Wollcrêpe, an dem Miss Cheadle die ganze Nacht gearbeitet hatte, um es fertigzustellen. »Ich hoffe, ich komme nicht allzu ungelegen, Miss Finch«, sagte er lächelnd. »Mr. Somerville hat mir gar nicht erzählt, dass Sie heute Nachmittag mit so vielen Damen unserer besseren Gesellschaft Hof halten«, und in leiserem Ton, eher zu sich selbst, fügte er hinzu: »›Der Zänkerinnen Geister werden Flammen …‹«
    »›Ein bunt Gespräch verkürzt die Stunden all / Vom heutigen Besuch und letzten Ball‹« , setzte Mary das Zitat fort.
    »Ah, ich sehe, Sie haben Alexander Pope gelesen«, sagte Déprez und zog eine Augenbraue hoch. »Mögen Sie seine Poesie?«
    »Ja, aber ich glaube, das hätten wir besser nicht sagen sollen - das über die Zänkerinnen, meine ich.« Mary hatte plötzlich Gewissensbisse, sich auf Kosten anderer amüsiert zu haben. Sie zuckte mit den Achseln und schenkte ihm Tee ein.
    »Keine Sorge, ich war es ja, der es gesagt hat, und meine Strafe folgt bestimmt auf dem Fuß.« Er nahm einen Schluck Tee und murmelte, auf sich selbst deutend: »›Die stolze Spröde sinkt herab zum Gnomen / Um unheilvoll die Erde zu durchstromen‹. Und wo wir gerade über ›die Erde durchstromen‹ sprechen, ich hoffe, ihr kleiner Ausflug gestern hat keine … unangenehmen Folgen gezeitigt.«
    Mary schüttelte den Kopf und antwortete in ähnlich vertraulichem Ton: »Sie hat es gar nicht bemerkt. Solange keine der Damen aus Woodbridge etwas ausplaudert... Vermutlich war meine Sorge darüber der Anlass für meine ungehörige Bemerkung.« Mit ernster Miene und einem Nicken deutete sie in Richtung der im Kreis sitzenden Kaschmirstola-Trägerinnen, in deren Mitte sich die Bürgermeistersgattin in langen Reden erging.
    »Ah, verstehe«, meinte Déprez. »Nun, dann werde ich versuchen, sogleich das Thema zu wechseln, sobald ich merke, dass eine von ihnen im Begriff ist, etwas auszuplaudern.« Daraufhin gingen sie auseinander, und Déprez begab sich auf eine weitere gemächliche Runde durch den Salon. Mary sah ihm nach, schalt sich deshalb aber insgeheim. Als er wieder zu ihr trat, bat er um ein Stück von dem Kümmelkuchen. »Ich habe mir von der Dame dahinten, der mit der Nachtmütze, sagen lassen, es sei gewiss der beste, den ich je gekostet habe.«
    Mary hatte sich ein etwas reservierteres Verhalten auferlegt, doch diese Bemerkung machte ihren Vorsatz sofort zunichte. »Pssst«, raunte sie eindringlich und unterdrückte ein Kichern. »Das ist doch keine Nachtmütze!«
    »Nein? Sieht aber ganz so aus, allerdings bin ich froh, dass Sie mich gewarnt haben. Es wäre mir äußerst unlieb, Anstoß zu erregen, indem ich ihr ein Kompliment über ihre Nachtmütze mache.« Er nahm einen Bissen von dem Kümmelkuchen. »Der ist gut, aber vielleicht ein bisschen trocken. Wie finden Sie den Ingwerkuchen?«
    »Oh, den mag ich viel lieber«, sagte sie und schnitt ihm ein Stück ab. »Geht es bei all den Gesprächen darum - um Kuchen?«
    »Ja«, erwiderte er lächelnd, »Um Kuchen und Advokaten. Genauer gesagt, um die Gebäcksorten, die Mr.Todd als kleine Aufmerksamkeit beigesteuert hat, sowie die Qualität seiner juristischen Ratschläge. Und natürlich welches

Weitere Kostenlose Bücher